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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Deutschland abermals eines «Dolchstoßes» bezichtigt werden. Erst die «Cuno-Streiks» überzeugten die Parteiführung der Sozialdemokraten, daß die weitere Tolerierung der Regierung Cuno nicht das kleinere, sondern, verglichen mit einer Großen Koalition, das größere Übel war.
    Da die Unzufriedenheit mit der amtierenden Regierung auch bei den bürgerlichen Parteien und den Unternehmern inzwischen kritische Ausmaße erreicht hatte, kam die überfällige Krisenlösung binnen weniger Tage zustande. Die SPD setzte in den Verhandlungen mit den bisherigen Regierungsparteien eine Reihe von Forderungen durch, darunter die schleunige Eindämmung der Inflation, die Vorbereitung einer Goldwährung, die Loslösung der Reichswehr von illegalen Organisationen sowie außenpolitische Aktivitäten zur Lösung der Reparationsfrage. Mit der in der Öffentlichkeit seit langem diskutierten Kanzlerschaft des Vorsitzenden der DVP, Gustav Stresemann, waren die Sozialdemokraten schon deswegen einverstanden, weil ihnen aus innerparteilichen Gründen daran lag, nicht selbst die Spitzenposition zu besetzen. Die stärkste Partei begnügte sich damit, die Minister für Finanzen, Wirtschaft, Inneres und Justiz zu stellen. Am 13. August 1923, einen Tag, nachdem Cuno seinen Rücktritt erklärt hatte, wurde Stresemann von Reichspräsident Ebert zum Reichskanzler ernannt. Tags darauf gewann der neue Regierungschef, der zugleich das Amt des Außenministers übernahm, die Vertrauensabstimmung im Reichstag. Rund ein Drittel der Abgeordneten von SPD und DVP blieb der Abstimmung fern – ein deutliches Zeichen, daßdie Große Koalition in den beiden Flügelparteien weiterhin heftig umstritten war.
    Auf der politischen Rechten, in Bayern nicht anders als im besetzten Gebiet, wurde die Rückkehr der Sozialdemokraten an die Regierung mit Empörung aufgenommen, wobei zwei Kabinettsmitglieder besonders feindselige Reaktionen hervorriefen: Finanzminister Rudolf Hilferding, weil er Jude war, und Justizminister Gustav Radbruch, weil er als Inhaber desselben Ressorts unter Wirth das verhaßte Republikschutzgesetz verkörperte. Auf die Arbeiterschaft aber wirkte die Bildung der Großen Koalition beruhigend. Die «Cuno-Streiks» verebbten. Von einer revolutionären Situation in Deutschland konnte nicht mehr die Rede sein.
    Die Komintern in Moskau sah das anders. Unter dem Eindruck der «Cuno-Streiks» forderte der Generalsekretär der Dritten Internationale, Grigori Sinowjew, die KPD Mitte August auf, sich auf die herannahende revolutionäre Krise einzustellen. Am 23. August trat das Politbüro der Kommunistischen Partei Rußlands zu einer Geheimsitzung zusammen. Sinowjew, Radek und der Volkskommissar für Verteidigung, Leo Trotzki, setzten gegen den widerstrebenden Parteisekretär Stalin den Beschluß durch, einen Ausschuß zu bilden, dessen Aufgabe darin bestand, die kommunistische Revolution in Deutschland systematisch vorzubereiten.
    Die endgültige Entscheidung für den «deutschen Oktober», der nach Trotzkis Auffassung am fünften Jahrestag der deutschen Revolution, am 9. November 1923, stattfinden sollte. Am 1. Oktober wies Sinowjew die Zentrale der KPD an, die Partei sollte möglichst umgehend in die sächsische Minderheitsregierung unter dem linken Sozialdemokraten Erich Zeigner eintreten, die seit März von den Kommunisten toleriert wurde. Der nächste Schritt sollte die Bewaffnung des sächsischen Proletariats sein. Sachsen war also die Rolle des Vororts der deutschen Revolution zugedacht: Es sollte zum Ausgangspunkt eines Bürgerkrieges werden, an dessen Ende der Sieg der Kommunisten über die Faschisten und die bürgerliche Republik stand.
    Während die Kommunisten die Revolution vorbereiteten, spitzte sich die politische Krise in Deutschland weiter zu. Am 26. September verkündeten Reichspräsident und Reichsregierung nach langem Zögern das Ende des passiven Widerstands. Die bayerische Staatsregierung reagierte noch am selben Tag mit der Verhängung des Ausnahmezustandsund der Übertragung der vollziehenden Gewalt an den Regierungspräsidenten von Oberbayern, Gustav Ritter von Kahr. Die Antwort des Reiches hierauf war eine Notverordnung vom Abend des 26. September, die den Ausnahmezustand über das ganze Reich verhängte und die vollziehende Gewalt dem Reichswehrminister übertrug, der sie seinerseits an die regionalen Militärbefehlshaber delegieren konnte. Bayern hätte, rein rechtlich gesehen, wenn Reichspräsident oder Reichstag

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