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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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geworden. Einige Monate später, im September 1924, bezeichnete Stalin die Sozialdemokratie als den «gemäßigten Flügel des Faschismus»; Sozialdemokratie und Faschismus seien «keine Antipoden, sondern Zwillingsbrüder». Damit war die Lehre vom «Sozialfaschismus» geboren, die in der Endphase der Weimarer Republik die Agitation von Komintern und KPD bestimmen sollte.
    Den deutschen Kommunisten gelang es, anders als den Sozialdemokraten, sich einen festen Anhang unter Künstlern und Intellektuellen zu verschaffen. Der Maler George Grosz und der Meister der photographischen Montage, John Heartfield (eigentlich Helmuth Herzfeld) waren angeblich seit der Parteigründung am 31. Dezember 1918 Mitglieder der KPD. Die kommunistischen Maler und Bildhauer wurden 1928 in der Assoziation revolutionärer bildender Künstler, kurz «Asso» genannt, die kommunistischen Autoren im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller organisiert. Sein Aktionsprogramm definierte die «proletarisch-revolutionäre Literatur» als eine solche, «die Herz und Hirn der Arbeiterklasse und der breiten werktätigen Massen für die Vorbereitung der proletarischen Revolution gewinnt, entwickelt und organisiert». Außerdem habe sie die werktätigen Mittelschichten und Kopfarbeiter «für die proletarische Revolution zu gewinnen oder zum mindesten zu neutralisieren».
    Einige der meistgelesenen zeitgenössischen Autoren bekundeten durch ihren Beitritt zum Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, daß sie dieser Zielsetzung zustimmten. Bertolt Brecht, Anna Seghers, Arnold Zweig und Ludwig Renn wurden Mitglieder, ebenso Erich Weinert, Hans Marchwitza, Willi Bredel, Johannes R. Becher und Friedrich Wolf. Die Zeitschrift des Bundes die «Linkskurve» versuchte einerseits, ein intellektuelles Publikum zu erreichen, indem sie theoretische Beiträge des Philosophen Georg Lukács zur Kritik desliterarischen «Proletkults», und des Sinologen Karl August Wittfogel zur marxistischen Ästhetik veröffentlichte; andererseits bemühte sie sich, durch Preisausschreiben Romane und Schauspiele zu fördern, die sich an die arbeitenden Massen wandten.
    Massenwirksamkeit war in der Tat ein auszeichnendes Merkmal vieler Schriftsteller und Künstler, die sich in der KPD und für sie engagierten: Brecht schrieb mit am Drehbuch des ersten deutschen proletarischen Spielfilms «Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?» von 1931/32, Hanns Eisler komponierte die Musik dazu, Ernst Busch sang ihre gemeinsamen Moritaten. Ihre «Agit prop» richtete sich keineswegs nur gegen die «Bourgeoisie» und die «Reaktion», sondern immer auch gegen die Sozialdemokratie –
die
Kraft, die nach der Sprachregelung der Komintern vom März 1931 die «soziale Hauptstütze der Bourgeoisie» war.
    Unabhängige linke Intellektuelle wie Kurt Tucholsky behandelten die Staatsgründungspartei nicht mit demselben Haß, wie die Kommunisten es taten, aber doch voller Verachtung. Als die SPD sich 1921 in Görlitz ein reformistisches Programm gab, nannte sie der bekannteste Autor der linken «Weltbühne» «Skatbrüder, die den Marx gelesen». Fünf Jahre später porträtierte er sie als «bescheidene Radieschen, außen rot und innen weiß». Den Zwang zu Kompromissen, dem sich die Sozialdemokraten nicht entziehen konnten, wenn sie an der Regierung beteiligt waren, bezeichnete Tucholsky als «Parlamentsroutinendreh».
    Die Intellektuellen, die sich zu Weimar bekannten, waren sich der Labilität der inneren Verhältnisse meist wohl bewußt. Thomas Mann, noch bei Kriegsende ein Verteidiger des deutschen Obrigkeitsstaates, legte im Oktober 1922, anläßlich des 60. Geburtstages von Gerhart Hauptmann, vor einem teilweise widerstrebenden studentischen Publikum in Berlin ein viel beachtetes Bekenntnis zur deutschen Republik ab. Ende November 1926 sprach er, der Wahlmünchner, auf einer von der DDP einberufenen Veranstaltung mit Zorn und Trauer davon, wie sehr sich das Verhältnis zwischen der bayerischen und der Reichshauptstadt seit der Vorkriegszeit gewandelt habe. Damals sei man in München demokratisch und in Berlin militaristisch gewesen, doch mittlerweile habe es eine Umkehrung gegeben. «Wir haben uns des renitenten Pessimismus geschämt, der von München aus der politischen Einsicht Berlins, der politischen Sehnsucht einer ganzen Weltentgegengesetzt wurde; wir haben mit Kummer sein gesundes und heiteres Blut vergiftet gesehen durch antisemitischen Nationalismus und Gott weiß welch

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