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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Weltrevolution.
    Für Rußland lautete die Parole, die kommunistischen und internationalistischen Elemente von den kleinbürgerlichen zu trennen und mit ihrer Hilfe die Sowjets der Arbeiter- und Bauerndeputierten nach dem Vorbild der Pariser Kommune von 1871 in Organe einer revolutionären Staatsmacht umzuwandeln (wobei sich Lenin auf Marx’ Schrift über den «Bürgerkrieg in Frankreich» berief). Konkret hieß das: Zerbrechen der alten Staatsmaschine und Ersetzung durch eine neue, wo Polizei, Armee und Bürokratie mit dem «
bis auf den letzten Mann bewaffneten Volk
eins» waren. Das Proletariat müsse «
alle
armen und ausgebeuteten Schichten des Volkes organisieren und bewaffnen, damit sie die Organe der Staatsmacht
selbst
übernehmen, damit sie
selbst
und unmittelbar die Institutionen dieser Staatsmacht
bilden

    Um tatsächlichen Einfluß auf die weitere Entwicklung in Rußland zu erlangen, mußte Lenin erst einmal die eigene Partei, die Bolschewiki, auf seine Linie bringen. Das konnte er nicht aus dem Exil, sondern nur in Rußland selbst tun. Da Frankreich es ablehnte, ihm ein Transitvisum und Reiseerleichterungen zu gewähren, konnte er nur mit deutscher Hilfe in seine Heimat zurückkehren. Die Oberste Heeresleitung und die Regierung Bethmann Hollweg hatten das größte Interesse daran, dem entschiedensten Kriegsgegner unter den russischen Emigranten jede Hilfe zu gewähren – nicht nur dadurch, daß Lenin die Rückkehr durch Deutschland ermöglicht wurde, sondern auch durch großzügige finanzielle Unterstützung seiner Agitation. Das Ziel, mit Lenins Hilfe den Krieg im Osten zu beenden und danach alle Kraft auf den Kampf an der Westfront zu konzentrieren, rechtfertigte aus deutscher Sicht auch ein höchst gefährliches Mittel: die Revolutionierung Rußlands durch die Bolschewiki, angeführt von einem Mann, der zu dieser Zeit «objektiv» ein deutscher Einflußagent war. Am 8. April reiste Lenin zusammen mit einigen seiner getreuen Anhänger, darunter seine Frau Nadeshda Krupskaja, Sinowjew und Radek, in dem legendären, angeblich «plombierten» Zug aus Zürich ab. Auf dem Weg über Schweden und das russische Finnland trafen die Rückkehrer am 16. April auf dem Finnländischen Bahnhof in Petrograd ein, wo sie von einer großen Menschenmenge erwartet wurden.
    Bei den Petrograder Bolschewiki, und erst recht natürlich bei den Menschewiki, stießen Lenins radikale Thesen zunächst auf ungläubiges Staunen und massiven Widerspruch. Im Petrograder Sowjet, wo die Bolschewiki sehr viel schwächer vertreten waren als die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre, war es nicht anders. Lenin ließ sich von der geballten Opposition nicht beirren und veröffentlichte am 22. April in der «Prawda» unter der Überschrift «Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution» seine rasch berühmt gewordenen «Aprilthesen». Ohne den Sturz des Kapitals sei es, so hieß es da, unmöglich, den Krieg durch einen wahrhaft demokratischen Frieden zu beenden. Nachdem die erste Etappe der Revolution die Bourgeoisie an die Macht gebracht habe, müsse die zweite Etappe die Macht in die Hände des Proletariats und der ärmsten Schichten der Bauernschaft legen. Es gelte daher, die Massen darüber aufzuklären, daß die Sowjets die einzig mögliche Form der revolutionären Regierung seien.
    «Keine parlamentarische Republik, … sondern eine Republik der Sowjets der Arbeiter-, Landarbeiter- und Bauerndeputierten im ganzen Lande, von untern bis oben», lautete Lenins neue Parole, die sich schlagwortartig in dem Ruf «Alle Macht den Räten» zusammenfassen ließ. Polizei, Armee und Beamtenschaft waren abzuschaffen, die gesamten Ländereien der Gutsbesitzer zu beschlagnahmen, der gesamte Boden des Landes zu nationalisieren, die Verfügung über ihn den örtlichen Sowjets der Landarbeiter- und Bauerndeputierten zu übertragen und die Banken zu einer Nationalbank zu verschmelzen, die durch den Sowjet der Arbeiterdeputierten zu beaufsichtigen sei. Das alles bedeutete, so Lenin, noch nicht die Einführung des Sozialismus, sondern nur den «Übergang zur Kontrolle über die gesellschaftliche Produktion und die Verteilung der Erzeugnisse durch den Sowjet der Arbeiterdeputierten».
    In einem ausführlicheren Text über die «Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution», den er im April schrieb, aber erst im September 1917 veröffentlichte, erklärte Lenin, die bürgerlich-demokratische Revolution sei mit der

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