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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Bildung der neuen Regierung der Bourgeoisie und der verbürgerlichten Gutsbesitzer «insofern» abgeschlossen. Der jetzige Zustand sei gekennzeichnet durch eine noch nie dagewesene Verflechtung von zwei Diktaturen, der Diktatur der Bourgeoisie und der Diktatur des Proletariats. Die Februarrevolution stellte Lenin als Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg dar; jedes Zugeständnis an die «revolutionäre Vaterlandsverteidigung» sei Verrat am Sozialismus und völlige Preisgabe des Internationalismus. Um den Bruch mit der opportunistischen Sozialdemokratie deutlich zu machen, forderte er die Partei auf, sich in Kommunistische Partei umzubenennen. Ihre wichtigste Aufgabe war es für Lenin, den imperialistischen Weltkrieg durch einen wirklich demokratischen Frieden zu beenden, was aber ohne die gewaltigste Umwälzung in der Geschichte der Menschheit nicht möglich sei. «Es gibt
keinen
Ausweg außer der Revolution des Proletariats.»
    Bei den Bolschewiki konnte Lenin sich mit seiner Linie innerhalb weniger Wochen durchsetzen. Mitte Mai veröffentlichte die «Prawda» eine von der «Aprilkonferenz» der Partei verabschiedete Resolution zur Agrarfrage, in der der sofortige Übergang des konfiszierten Gutsbesitzes in die Hände der Bauernschaft und die Nationalisierung des Grund und Bodens gefordert wurden. Eine weitere Resolution zurnationalen Frage verlangte für alle Nationen, die zu Rußland gehörten, das Recht auf Lostrennung und die Bildung eines eigenen Staates. Dieses Recht bedeutete aber nicht, daß die Lostrennung dieser oder jener Nation in diesem oder jenem Augenblick zweckmäßig war. Vielmehr war diese Frage vom Proletariat in jedem einzelnen Fall unter Berücksichtigung der ganzen gesellschaftlichen Entwicklung und vom Standpunkt des Klassenkampfes für den Sozialismus aus zu lösen. Bei der Agrarfrage ging es Lenin darum, die landarmen Bauern, die größte Bevölkerungsgruppe, für die Sache der Bolschewiki zu gewinnen. Bei der nationalen Frage setzte er auf die Unterstützung der nichtrussischen Völker. Selbst wenn sie vom Recht der Lostrennung von Rußland Gebrauch machten, erwartete er, daß sie sich nach einer erfolgreichen proletarischen Revolution mit dem neuen Rußland wieder verbinden würden.
    Der Zustand der «Doppelherrschaft», in dem sich Rußland seit dem März 1917 befand, konnte Lenin zufolge nur ein möglichst rasch zu beendendes Übergangsstadium sein. Die Provisorische Regierung war, wie er am 22. April in der «Prawda» schrieb, die Regierung der Bourgeoisie, die Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten in Petrograd und anderen Städten waren eine vorerst noch schwache Regierung des Proletariats. Einen höheren, besseren Typus der Regierung habe die Menschheit noch nicht hervorgebracht. Um zur Staatsmacht zu werden, müßten die klassenbewußten Arbeiter die Mehrheit für sich gewinnen; solange den Massen gegenüber keine Gewalt angewendet werde, gebe es keinen anderen Weg zur Macht. «Wir sind keine Blanquisten (Anhänger der Lehre des französischen Sozialisten Louis Auguste Blanqui vom bewaffneten Aufstand, H. A. W.), keine Anhänger der Machtergreifung durch eine Minderheit. Wir sind Marxisten, Anhänger des proletarischen Klassenkampfes gegen den kleinbürgerlichen Taumel, gegen den Chauvinismus und die Vaterlandsverteidigung, gegen die Phrase, gegen die Abhängigkeit von der Bourgeoisie.» Erst wenn sich die klassenbewußten Arbeiter zu einer proletarischen kommunistischen Partei zusammengeschlossen und einen Großteil der armen Bauern auf ihre Seite gezogen hatten, konnten sie darangehen, die Alleinherrschaft der Sowjets zu errichten. Auf dem Wege zu diesem Ziel galt es, das proletarische Klassenbewußtsein zu klären und sich vom Einfluß der Bourgeoisie zu befreien.
    Die «Doppelherrschaft» erwies sich schon sehr bald als überauskonfliktträchtig. Am 1. Mai 1917 versicherte Außenminister Miljukow den Alliierten, Rußland werde den Krieg weiterführen, und löste damit heftige Proteste auf der Linken aus. Unter dem Druck des Petrograder Sowjets mußte die Provisorische Regierung drei Tage später erklären, daß sie keine territorialen Ansprüche erhebe. Kurz darauf legten erst Kriegsminister Gutschkow, zwei Wochen später auch Miljukow ihre Ämter nieder. Am 18. Mai traten sechs Vertrauensleute der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre in die Provisorische Regierung ein, was den beiden Parteien Mitte Juni auf dem Ersten Allrussischen

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