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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Laidoner (der als Oberbefehlshaber 1925 zurückgetreten war), ließ die Führer der «Vapsen» verhaften und vertagte sowohl die Wahl des Staatspräsidentenwie die des Parlaments. Die Volksvertretung stimmte dem Ausnahmezustand zu; auch die Sozialdemokraten sahen in der Diktatur des konservativen Päts ein wesentlich kleineres Übel als in einer der «Vapsen». Seit Oktober 1934 wurde das Parlament nicht mehr einberufen, die Tätigkeit der Parteien sistiert. Päts regierte fortan mit Dekreten; die Bewegung der Freiheitskämpfer wurde nach der Aufdeckung eines Putschversuchs 1935 verboten.
    Durch einen Volksentscheid ließ Päts seinen Kurs im Februar 1936 bestätigen. Eine neue, von einer Konstituierenden Nationalversammlung beschlossene Verfassung vom August 1937 führte ein System mit einem starken Präsidenten und einer Staatsversammlung ein, die aus zwei Kammern bestand: der aus Wahlen nach dem Mehrheitswahlrecht hervorgegangenen Abgeordnetenkammer und dem teils gewählten, teils ernannten Staatsrat. Im April 1938 ließ Päts sich vom Volk zum Präsidenten der Republik wählen. Die von ihm praktizierte «gelenkte Demokratie» unterschied sich sowohl von dem instabilen parlamentarischen System, in dem zwischen 1919 und 1933 die Regierungen sich im Durchschnitt jeweils acht Monate und 20 Tage hatten im Amt halten können, als auch von der autoritären Diktatur der Jahre 1934/35. Estland war damit am Vorabend des Zweiten Weltkriegs das bei weitem liberalste unter den, wenn man Litauen mitzählt, drei baltischen Republiken.
    Auch auf der anderen Seite des Finnischen Meerbusens stand in der Zwischenkriegszeit das Schicksal der parlamentarischen Demokratie mehr als einmal auf des Messers Schneide. Bis weit in die dreißiger Jahre hinein mußte Finnland mit der Gefahr eines gewaltsamen Umsturzes der radikalen Rechten rechnen, und immer wieder versuchte die im August 1918 in Rußland gegründete, von Anfang an illegale Kommunistische Partei Finnlands durch Tarnorganisationen und gezielte Gewerkschaftsarbeit Massen für einen zweiten Anlauf in Richtung einer roten Revolution hinter sich zu bringen. Die Sozialdemokraten hingegen wandten sich unter Führung von Väinö Tanner vom Radikalismus der Bürgerkriegszeit ab und dem Reformismus der skandinavischen Arbeiterparteien zu: eine notwendige Voraussetzung für das parlamentarische Zusammenwirken mit den gemäßigten bürgerlichen und bäuerlichen Parteien, dem das Land eine Reihe von Arbeiterschutzgesetzen, ein Gesetz über die sechsjährige Schulpflicht unddie Bodenreform von 1922 verdankte, die sich gegen den finnland-schwedischen Großgrundbesitz richtete. 1926/27 gelangte Tanner als Chef einer von der Schwedischen Volkspartei tolerierten sozialdemokratischen Minderheitsregierung ins Amt des Ministerpräsidenten, in dem er sich freilich nur ein knappes Jahr lang behaupten konnte.
    Die Regierungen waren unter der Präsidentschaft des liberalen Kaarlo Ståhlberg in den Jahren 1919 bis 1926 wie unter der seines Nachfolgers Lauri Kristian Relander von der Agrarunion von 1925 bis 1931 fast immer Minderheitskabinette. Alle standen unter dem massiven Druck der staatlich geförderten, weit rechts stehenden und scharf antikommunistischen Schutzkorps, einer während der Bürgerkriegszeit gegründeten Organisation der Landesverteidigung, die 1919 fast 100.000 Mitglieder zählte. Auf ihr Betreiben ging die Regierung des Ministerpräsidenten Kyösti Kallio im August 1923 mit größerer Härte gegen die von den Kommunisten ferngesteuerte Finnische Arbeiterpartei vor: Ihre 27 Parlamentsabgeordneten und zahlreiche Funktionäre wurden verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu Freiheitsstrafen verurteilt; die Partei wurde aufgelöst.
    Das Verbot warf die Kommunisten nur vorübergehend zurück. Eine neue Tarnorganisation, der Wahlbund Sozialistischer Arbeiter und Kleinbauern, zog 1927 erstmals und 1929 mit zusätzlichen Mandaten in den Reichstag ein. In den Gewerkschaften hatten die Kommunisten bereits 1920 die Mehrheit erobert. Ein achtmonatiger Hafenarbeiterstreik 1927/28 führte zu neuen scharfen Kampfmaßnahmen des Staates: Die meisten Führer der illegalen Kommunistischen Partei wurden im April 1928 festgenommen und wegen Vorbereitung des Hochverrats zu Zwangsarbeit im Lager Tammisaari verurteilt. Ein Jahr später, im Mai 1929, verließen die Sozialdemokraten die Führungsgremien des Finnischen Gewerkschaftsbundes und gründeten den neuen Zentralverband der

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