Geschichte des Westens
Auf freiwilliger Basis sollten strittige Fragen, möglichst ohne Streiks und Aussperrungen, einvernehmlich geregelt werden. Der Staat war an den Absprachen nicht unmittelbar beteiligt; er förderte aber die Kooperation der Tarifpartner, weil sie es ihm erleichterte, ein immer dichteres Netz der sozialen Sicherheit zu knüpfen.
Das «Volksheim» hatte jedoch auch seine Kehrseite: den Konformitätsdruck, der jedem, auch einem milden Kollektivismus innewohnt. In
einer
Hinsicht war die schwedische Spielart des Kollektivismus im übrigen keineswegs milde: im Hinblick auf die sozialdarwinistische Ausgrenzung, ja Unterdrückung von als sozial minderwertig eingestuften Menschen. Bereits 1922 wurde mit breiter, parteiübergreifender Unterstützung in Uppsala das weltweit erste staatliche Institut für Rassenbiologie gegründet. Dahinter stand die gemeinsame Überzeugung rechter und linker Eugeniker, daß die Gesamtheit für eine gesunde Selektion des Nachwuchses zu sorgen hatte. Einig waren sich Rechte und Linke auch darin, daß dem unübersehbaren Geburtenrückgang mit einer «pronatalistischen» Politik entgegengewirkt werden mußte – mit Maßnahmen zugunsten von Eltern, die als erbbiologisch wertvoll zu betrachten waren.
Als minderwertig galten den Eugenikern namentlich Schwachsinnige – ein Begriff, unter dem zunehmend auch Asoziale und Frauen von ausgeprägter sexueller Promiskuität verstanden wurden. Ein erstes Sterilisierungsgesetz erging 1935 unter der Regierung Hansson, ebenso das zweite, deutlich verschärfte von 1941. Die Zustimmung der Betroffenen zur Sterilisierung verlor dabei immer mehr an Bedeutung. Bei für unmündig erklärten Personen war die Einwilligung nicht erforderlich. Von Freiwilligkeit konnte aber auch bei als rechtsmündig eingestuften Menschen meist nicht die Rede sein. Dazu war der indirekte Zwang zu massiv.
Konservative Eugeniker neigten dazu, die höheren Gesellschaftsschichten als erbbiologisch besonders wertvoll einzuschätzen und denUnterschichten dieses Prädikat zu versagen. Rechte Rassebiologen unterschieden zudem zwischen höher- und minderwertigen Rassen. Die vom amerikanischen Taylorismus geprägten sozialdemokratischen Befürworter eines «social engineering», obenan Alva und Gunnar Myrdal, zwei spätere Nobelpreisträger (Gunnar 1974 für Wirtschaftswissenschaften, seine Frau Alva 1982 für Verdienste um den Weltfrieden), dachten ebenfalls in den Kategorien von «superioren» und «inferioren» Eltern, lehnten aber eine Rassenhierarchie ebenso ab wie die Gleichsetzung von gehobenem gesellschaftlichen Status und hoher erbbiologischer Qualifikation. Sie setzten auf eine Verbesserung der Wohnverhältnisse, der Volksgesundheit und der Volksbildung.
Gleichwohl gab es einen erheblichen Fundus an Übereinstimmung von linker und rechter Eugenik. Der biologische Auslesegedanke war beiden gemeinsam; Linke und Rechte wollten die Zahl der «Minderwertigen» vermindern und den persönlichen Willen der Einzelnen den vermeintlichen Interessen des Kollektivs unterordnen. In den Worten der deutschen Historikerin Ann-Judith Rabenschlag: «Für die Rassebiologen war dieses Kollektiv die Rasse, für die Sozialingenieure das Volksheim.»
Eine
Konsequenz aus dem sozialdarwinistischen Auslesegedanken zogen die schwedischen Eugeniker aber nicht: Sie wurden keine Anwälte der «Euthanasie», wie sie bereits 1920, also lange vor der nationalsozialistischen Herrschaft, zwei bekannte deutsche Wissenschaftler, der Strafrechtler Karl Binding und der Psychiater Alfred Hoche, in ihrem Buch «Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens» forderten. Die beiden Autoren lieferten damit auch eine nachträgliche Rechtfertigung einer nach 1914 nicht nur in Deutschland üblichen Praxis: Geisteskranke waren in den Hungerjahren des Ersten Weltkrieges gezielt unterernährt worden, so daß die Zahl der Todesfälle in den «Irrenanstalten» erheblich anstieg.
In Norwegen, das erst seit der Auflösung der Union mit Schweden im Jahr 1905 ein unabhängiger Staat war, konnten die bürgerlichen Parteien länger als in Schweden ihre Vormachtstellung behaupten. Die beherrschende Figur war bis Mitte der dreißiger Jahre der Führer der bürgerlichen «Venstre» (Linke), Johann Ludwig Mowinckel, der in den Jahren 1924 bis 1926, von 1928 bis 1931 und zuletzt von 1933 bis 1935 an der Spitze der Regierung stand. Die Sozialdemokraten konnten erstmals im Januar 1928, nachdem sie bei den Wahlen zumStorting die stärkste
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