Geschichte des Westens
Verbots der Herstellung und des Verkaufs von alkoholischen Getränken gehörte der Führer der Volksfreisinnigen, Gustav Ekman, der von 1926 bis 1928 und von 1930 bis 1932 das Amt des Ministerpräsidenten innehatte. Ein konsultatives Referendum, ermöglicht durch eine Verfassungsänderung aus der Zeit der zweiten Regierung Branting, erbrachte im August 1922 aber lediglich ein Staatsmonopol, verbunden mit einer scharfen Prohibition des Verkaufs alkoholischer Getränke. (In Norwegen und Finnland waren schon 1919 Prohibitionsgesetze verabschiedet worden, die 1926 beziehungsweise 1932 wieder aufgehoben wurden; in Norwegen beide Male auf Grund von Volksbefragungen.)
Nach 1929 geriet auch Schweden in den Strudel der Weltwirtschaftskrise. 1931 mußte das nordische Königreich im Sog Großbritanniens den Goldstandard aufgeben. Im Herbst 1932 beging Schwedens mächtigster Unternehmer, Ivar Kreuger, der Mann an der Spitze des marktbeherrschenden Streichholzkonzerns Svenska Tändsticks AB (STAB), und, was so gut wie niemand wußte, ein betrügerischer Spekulant großen Stils, in Paris Selbstmord. Sein Tod löste den «Kreuger-Krach», den Zusammenbruch seines Finanzimperiums, aus.
Nach den Wahlen vom September 1932 gelangten wieder die Sozialdemokraten, die die absolute Mehrheit nur knapp verfehlten, an die Macht. Mit einer kurzen Unterbrechung im Jahr 1936 stellten sie fortan bis 1976 den Ministerpräsidenten; bis zu seinem Tod im Oktober 1945 war Per Albin Hansson Inhaber dieses Amtes. In seinerRegierungszeit beschleunigte sich der Wandel der Agrar- zur Industriegesellschaft: 1920 waren 44 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft sowie in der Fischerei beschäftigt, 1940 nur noch 29; der Anteil der in der Industrie beschäftigten Personen stieg von 35 auf 36 Prozent. Die Arbeitslosigkeit, die im März 1933 ihren Höhepunkt erreichte, bekämpfte die regierende Koalition aus Sozialdemokraten und Bauernbund mit Notstandsarbeiten, Stützungsmaßnahmen für die Landwirtschaft und Einfuhrbeschränkungen. Hanssons soziale Vision war das «Volksheim» (folkhemmet), das er 1928 in einer Rede vor der zweiten Kammer beschrieb: eine auf der Versöhnung der Klassengegensätze beruhende Gesellschaft, die die Grundlage eines spezifisch sozialdemokratisch gefärbten Patriotismus bilden sollte.
«In einem guten Heim sind Gleichheit, Rücksicht, Zusammenarbeit und Hilfsbereitschaft die Hauptregeln», erläuterte Hansson den Begriff «Volksheim». «Wenn man dies alles auf das Heim einer Nation und eines Bürgers überträgt, dann bedeutet dies das Verschwinden der sozialen Barrieren, die heute die Bürger trennen.» Der Begriff «Volksheim» entstammte ursprünglich der bäuerlich-konservativen Vorstellungswelt des frühen 20. Jahrhunderts. Er war nicht zuletzt eine Antwort auf eine traumatische Erfahrung: die Armutsemigration, durch die Schweden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Viertel seiner Bevölkerung verloren hatte. Seit den dreißiger Jahren wurde «Volksheim» in den Worten des deutschen Skandinavisten Bernd Henningsen zum «Topos der wohlfahrtsstaatlichen Ziviltheologie» der schwedischen Sozialdemokratie und darüber hinaus zu einem Merkmal der skandinavischen «Konsensdemokratie». Der zentrale Gedanke war der der sozialen Sicherheit (trygghet), die zu gewährleisten eine Verpflichtung des Staates war. Die Sicherheit verlangte eine Umverteilung der ökonomischen Ressourcen und eine Förderung der gesellschaftlichen Gleichheit. Vor diesem Hintergrund erschienen soziale Ausgaben nicht mehr als finanzielle Belastung des Staates, sondern als Investition zur Ankurbelung der Wirtschaft, in die Sicherung des sozialen Friedens und die Festigung der Demokratie.
1934 setzte die Regierung Hansson eine vom Staat unterstützte freiwillige Arbeitslosenversicherung durch, der 1935 ein Volkspensionsgesetz folgte, das die unzulängliche, 1913 eingeführte allgemeine «Volksrente» ablöste: zwei Säulen des schwedischen Wohlfahrtsstaates,der sich damals herauszubilden begann. 1937 wurden Gesetze über Mutterhilfe, Kinderfürsorge und die bedingte Legalisierung von Abtreibungen verabschiedet, 1938 das Recht der Arbeitnehmer auf einen zweiwöchigen Jahresurlaub verankert. Zum «schwedischen Modell» gehörte wesentlich auch die Zusammenarbeit zwischen Arbeit und Kapital, wie sie 1938 im Badeort Saltsjöbaden bei Stockholm zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden vereinbart wurde:
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