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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Zuge der Agrarreformen des späten 19. Jahrhunderts ihre Ländereien in Irland hatten aufgeben müssen. London antwortete mit hohen Einfuhrzöllen für irische Agrarerzeugnisse, woraufhin de Valera im Gegenzug den Import britischer Industrieprodukte durch hohe Zölle erschwerte – was ganz auf der Linie des industriellen Protektionismus lag, auf die Fianna Fáil sich festgelegt hatte.
    Der Handelskrieg schadete dem Agrarland Irland weit mehr als der Industriemacht Großbritannien. Zwischen 1931 und 1938 ging das irische Bruttosozialprodukt um 3 Prozent zurück, während das des Vereinigten Königreiches um 27 Prozent wuchs. Im Februar sah sich Dublin zu einem Handelsvertrag mit Großbritannien genötigt, der die beiderseitigen Kampfmaßnahmen teilweise zurücknahm. Die endgültige Beilegung des Handelskrieges kam erst im April 1938, als sich die Regierung de Valera zu einer letzten Einmalzahlung zur Landablösung bereit erklärte, wofür London britische Marinestützpunkte auf irischem Boden an Irland zurückgab. Ein neuer Handelsvertrag öffnete der irischen Landwirtschaft nicht nur den britischen Markt, sondern auch den der von Großbritannien abhängigen Staaten des Commonwealth. Die Schließung der verbliebenen militärischen Einrichtungenerleichterte es Irland, im Zweiten Weltkrieg als einziges Land des Commonwealth neutral zu bleiben.
    Von einer politischen Radikalisierung in der Zeit der Weltwirtschaftskrise blieb auch Irland nicht verschont. Im Februar 1933 gründete Eoin O’Duffy, der von der Regierung de Valera entlassene Chef der irischen Polizei, die Army Comrades Association (ACA). Die ACA war ein paramilitärischer Verband, der, wie die spanischen Falangisten, blaue Hemden trug, zunächst vor allem aus Veteranen bestand und sich der Partei Cosgraves, der Cumann na nGaedheal, als Saalschutz zur Verfügung stellte. Ihren Hauptfeind sah die ACA in der Irish Republic Army (IRA), die zunehmend in Konflikt mit der Regierung de Valera geraten war und während des Wahlkampfes vom Winter 1932/33 eine Reihe von Gewalttaten verübt hatte.
    Im September 1933 schlossen sich die ACA, die sich inzwischen National Guard nannte, und die Cumann na nGaedheal mit anderen, kleineren Gruppen zu einer neuen Partei, der Fine Gael, zusammen. An ihre Spitze trat zunächst O’Duffy, aber von einer «Faschisierung» der irischen Rechten kann man trotz mancher äußeren Anlehnung an kontinentale Vorbilder nicht sprechen. Fine Gael blieb eine konservative Partei, die sich vorwiegend parlamentarisch betätigte – erst recht, seit 1935 der frühere Premierminister Cosgrave die Parteiführung übernahm. Die äußerste Linke bildete, in Ermangelung einer marxistischen oder gar kommunistischen Bewegung, die IRA. Sie wurde 1936 nach einer neuen Welle politischer Morde von der Regierung de Valera verboten, arbeitete im Untergrund aber diesseits und jenseits der Grenze zu Ulster weiter.
    Am 1. Juli 1937 erhielt Irland eine neue Verfassung. Der Staatsname lautete fortan auf irisch Eire, auf englisch Ireland. Die Verfassung sollte für ganz Irland, also auch für Ulster, gelten. Eine Bezugnahme auf die britische Krone fehlte. An die Spitze des Staates trat ein auf sieben Jahre gewählter Präsident (Uachtarán na hÉireann), an die der Regierung der Premierminister (Taoiseach). Irisch war die erste, englisch die zweite Amtssprache. Das Parlament bestand aus zwei Kammern, dem Repräsentantenhaus und dem Senat. Für die Wahlen zum Repräsentantenhaus stand, wie schon nach der Verfassung von 1922, allen Männern und Frauen, die das 21. Lebensjahr vollendet hatten, das aktive und passive Wahlrecht zu. Die Verfassung bezeichnete Irland als souveränen, unabhängigen, demokratischen Staat. DiePräambel berief sich auf die Allerheiligste Dreifaltigkeit als Quelle aller Autorität. Der katholischen Kirche wurde, ungeachtet des Bekenntnisses zur Religionsfreiheit, eine besondere Stellung zuerkannt. Eine finanzielle Unterstützung des Staates erhielt sie aber ebensowenig wie die anderen anerkannten Religionen. Entsprechend der katholischen Lehre galt die Familie als natürliche und ursprüngliche Grundeinheit der Gesellschaft und die Ehe als unauflöslich. Ehescheidungen waren infolgedessen ausgeschlossen.
    Keine andere europäische Verfassung des 20. Jahrhunderts gab sich derart «klerikal» wie die irische. Die katholische Kirche war aus Sicht der politischen Klasse Irlands ein unabdingbarer Bestandteil der nationalen Identität, ja

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