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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Mussolinis. Wenn er an der Macht bleiben wollte, mußte er sich also stärker als zuvor auf den harten Kern der faschistischen Bewegung, die Radikalen, stützen. Deswegen entschloß sich der «Duce» um die Jahreswende 1924/25, die Krise durch einen Befreiungsschlag zu beenden, den man mit Fug und Recht einen Staatsstreich nennen kann – seinen zweiten, wenn man den «Marsch auf Rom» ebenfalls als Staatsstreich bewertet.
    Am 3. Januar 1925 trat der Ministerpräsident, nachdem er tags zuvor seine Absichten mit dem König besprochen hatte, vor die Kammer. In seiner bisher wichtigsten Rede übernahm Mussolini persönlich die volle «politische, moralische und historische Verantwortung» für alles, was geschehen war. «Wenn der Faschismus nur Rhizinusöl und Gummiknüppel geworden ist und nicht vielmehr eine überlegene Leidenschaft der besten italienischen Jugend, dann ist es meine Schuld! Wenn der Faschismus eine kriminelle Vereinigung (un’associazione a delinquere) geworden ist, dann bin ich das Haupt dieser Vereinigung! … Wenn sich zwei Elemente im Kampf befinden und nicht nachgeben wollen, dann ist Gewalt die Lösung … Italien will Frieden, Ruhe und ungestörte Arbeit. Wir werden ihm Ruhe und ungestörte Arbeit sichern – wenn möglich in Liebe, wenn nötig mit Gewalt. Seien Sie gewiß meine Herren, daß innerhalb von 48 Stunden nach meiner Rede die Situation vollständig geklärt sein wird.» Um seine Provokation noch zu verschärfen, verwies der «Duce» die Abgeordneten auf eine Möglichkeit, die ihnen Artikel 47 der Verfassung vom März 1848 gewährte:das Recht, Minister des Königs anzuklagen und vor das Oberste Gericht zu stellen.
    Der 3. Januar 1925 markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des italienischen Faschismus. Um Begriffe von Wolfgang Schieder zu verwenden: Die «Bewegungsphase» war nun endgültig abgeschlossen, die eigentliche «Regierungsphase» begann. Das Regime etablierte sich als die offene Diktatur, auf die die Entwicklung seit dem «Marsch auf Rom» im Oktober 1922 angelegt war. Innerhalb der 48 Stunden, von denen Mussolini in seiner Rede gesprochen hatte, wurden die letzten Minister aus den Reihen der Liberalen Partei entlassen. Der ehemalige Nationalist Alfredo Rocco trat an die Spitze des Justizministeriums. Zahlreiche oppositionelle Zeitungen wurden beschlagnahmt und danach einer scharfen Zensur unterworfen. Das wichtigste Blatt des Landes, der traditionsreiche Mailänder «Corriere della Sera», hatte sich unter massivem Druck freilich schon im November 1924, nach der Entlassung des liberalen Chefredakteurs Luigi Albertini durch die Eigentümerfamilie Crespi, auf Regierungskurs begeben. Bald darauf übernahmen die Faschisten auch die Kontrolle über die Turiner «Stampa».
    Am 7. Januar 1925 berichtete Innenminister Federzoni über seine Maßnahmen: Zahlreiche politische Clubs waren geschlossen, angeblich aufrührerische Organisationen aufgelöst, sämtliche politische Versammlungen verboten, viele verdächtige Häuser durchsucht und gefährliche Unruhestifter verhaftet worden. Die parlamentarische Opposition auf dem Aventin protestierte in einem Manifest vom 9. Januar gegen die Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten und sprach vom Beginn des «letzten Abschnitts des Konflikts zwischen Faschismus und Volk». Als einige der oppositionellen Abgeordneten in die Kammer zurückkehren wollten, wurde ihnen der Eintritt versperrt. Am 18. Februar 1925 wurde Roberto Farinacci, die treibende Kraft bei der Bekämpfung der unabhängigen Presse, vom Gran Consiglio zum Generalsekretär der faschistischen Partei gewählt. Unter Berufung auf Mussolini erklärte er, der Faschismus habe bisher nur eine Schlacht gewonnen, den Krieg müsse er noch gewinnen.
    Die Opposition hätte nicht auf so breiter Front zerschlagen werden können, wäre sie rechtzeitig zu der Einsicht gelangt, daß sie nur dann etwas politisch bewirken konnte, wenn sie sich auf eine gemeinsame Strategie verständigte und sich an sie hielt. Die späte Kritik Giolittis,Orlandos und Salandras an der Politik Mussolinis wirkte wenig überzeugend, da sie durch ihre Zusammenarbeit mit den Faschisten ihre moralische Glaubwürdigkeit verspielt hatten. Der bürgerliche Liberalismus wurde zusätzlich dadurch geschwächt, daß seine wichtigsten gesellschaftlichen Stützen, die Industriellen und die Großgrundbesitzer, nicht daran dachten, sich mit einem System anzulegen, das ihre Interessen viel wirksamer schützte als

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