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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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die vorangegangenen Regierungen. Wer von den früheren Repräsentanten Italiens auf politische Betätigung verzichtete, konnte meist auch unter der Diktatur unbehelligt weiterleben. Prominente Vertreter des Geisteslebens wie der Philosoph Benedetto Croce, der sich erst Anfang 1924 unzweideutig gegen das faschistische Regime stellte, durften mit einem gewissen Maß an Nachsicht rechnen. Croces Zeitschrift «Critica» konnte weiter erscheinen, ohne daß sie sich ideologisch dem Faschismus unterwarf.
    Die Maßnahmen vom Beginn des Jahres 1925 waren nur eine Etappe auf dem Weg in die faschistische Diktatur. Vorangetrieben wurde diese Entwicklung unter anderem durch die faschistischen Gewerkschaften, die «Sindacati nazionali», die sich Anfang 1922 unter Führung Edmondo Rossonis in der Confederazione Nazionale delle Corporazioni Sindacali zusammengeschlossen hatten. Die Sindacati propagierten einerseits die Überwindung des Klassenkampfes und die Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit, hielten aber andererseits, im Unterschied zu den «gelben», unternehmerfreundlichen Gewerkschaften anderer Länder, am Mittel des Streiks fest. Innerhalb des PNF standen sie stets auf der Seite der Extremisten um Roberto Farinacci und Italo Balbo.
    Das Bekenntnis zum Streik war kein bloß verbales. Anfang 1925 entfesselten die Sindacati nazionali eine antikapitalistische Kampagne, die im faschistischen Metallarbeiterstreik vom Februar und März gipfelte. Ein halbes Jahr später aber, am 2. Oktober 1925, schlossen die faschistischen Gewerkschaften mit der Dachorganisation der Unternehmerverbände, der Confindustria, den Patto di Palazzo Vidoni, in dem sie auf den Streik und ihre Verhandlungspartner auf die Aussperrung verzichteten. Einigkeit erzielten beide Seiten auch über die Beseitigung der Betriebsräte (commissioni interne), die die Faschisten nie unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Die Sindacati nazionali sicherten sich das Monopol für den Abschluß von kollektiven Tarifverträgen,womit den anderen Gewerkschaften die Daseinsgrundlage entzogen wurde. Die sozialistische Confederazione Generale del Lavoro löste sich selbst auf. Im April 1926 wurden die Vereinbarungen vom Oktober des Vorjahres von Justizminister Rocco in Gesetzesform gebracht und die Spartenverbände (confederazioni) der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sofern sie mindestens ein Zehntel der Berufsangehörigen umfaßten, staatlich anerkannt.
    Am 4. November 1925, einen Monat nach Abschluß des Patto di Palazzo Vidoni, versuchte ein ehemaliger Abgeordneter des Partito Socialista Unitario, Tito Zaniboni, ein Attentat auf Mussolini zu verüben, das im letzten Augenblick verhindert werden konnte, aber folgenreich war. Das Regime antwortete mit dem Verbot des PSU (ein Mitverschwörer Zanibonis, der General Luigi Capello, war Freimaurer) und den von Justizminister Rocco vorgelegten «Leggi fascistissime». Das wichtigste derselben war das Gesetz über den Capo del Governo, das den Ministerpräsidenten mit umfassenden außerordentlichen Vollmachten ausstattete und dem Parlament das Recht der Gesetzesinitiative entzog. Ein Gesetz vom 31. Januar 1926 gab der Exekutive das Recht, wann immer sie es für richtig hielt, Verordnungen mit Gesetzeskraft zu erlassen, womit die Gewaltenteilung faktisch aufgehoben war. Es folgten Gesetze, die die Stellung der Präfekten (auch gegenüber der faschistischen Partei) stärkten, die kommunale Selbstverwaltung abschafften (an die Stelle des gewählten Bürgermeisters, des «sindaco», trat der vom Staat ernannte «podestà»), die Journalisten in einer Zwangsorganisation zusammenfaßten und die Entlassung politisch unzuverlässiger Beamter erlaubten.
    Ein wesentliches Merkmal der Leggi fascistissime war der Etatismus: Nicht die faschistische Bewegung, sondern der Staat gab den Ton an. Aber es war nicht der überkommene Staat, der die Partei zu seinem Instrument machte, sondern der faschistische Staat mit dem «Capo del governo e Duce del fascismo», Benito Mussolini, an der Spitze. Roberto Farinacci, der Exponent der Bewegung, mußte 1926 als Generalsekretär zurücktreten, viele seiner Anhänger gingen ihrer Parteiämter verlustig. Mit Farinacci wurden auch mehrere «ras» (regionale Parteiführer) entmachtet. Wer sich der neuen Linie anschloß, konnte auf seinem Posten verbleiben. Unter dem neuen Generalsekretär Augusto Turati, der dieses Amt bis 1930 ausübte, ordnete sich der Partito Nazionale Fascista fortschreitend dem

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