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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Privatarmee – Louis Napoleon über die «Gesellschaft des 10. Dezember», Mussolini über die «Squadre». Mussolini war in höherem Maß als Louis Napoleon ein charismatischer Führer, der Massen zu mobilisieren vermochte. Er verstand sich auf «Öffentlichkeitsarbeit», die notwendig war, um den Massen so zu erscheinen, wie er gesehen werden wollte: als willensstarker, durch nichts zu erschütternder, dynamischer Führer. Solange er seinen Apparat mit dem Gran Consiglio del Fascismo an der Spitze beherrschte und Erfolge vorweisen konnte, durfte er sichder plebiszitären Akklamation der Italiener einigermaßen sicher sein – zumal Terror und Wahlmanipulation im faschistischen Italien noch viel stärker ausgeprägt waren als im zweiten französischen Kaiserreich.
    Im Verhältnis zur Außenwelt unterschied sich das Italien des «Duce» aber zunächst stark vom bonapartistischen Frankreich. Napoleon III. hatte immer wieder versucht, seine Herrschaft durch eine prestigeträchtige, aber riskante Außen- und Kriegspolitik zu stabilisieren. Mussolini begab sich in der Frühzeit seiner Regierung nur einmal, im Sommer 1923 nach der Ermordung des italienischen Vertreters bei der internationalen Kommission zur Festsetzung der griechisch-albanischen Grenze, General Tellini, und seiner Begleiter auf griechischem Territorium, auf den gefährlichen Boden einer Militäraktion: Er ließ, um Italien ein Faustpfand für Schadensansprüche zu sichern und das Ansehen seines Landes zu erhöhen, die griechische Insel Korfu von italienischen Truppen besetzen, räumte sie aber auf Druck des Völkerbunds und vor allem Großbritanniens rasch wieder, nachdem zuvor eine Pariser Botschafterkonferenz Griechenland zu einer Zahlung von 50 Millionen Lire verurteilt hatte.
    In den folgenden Jahren blieben auswärtige Gewaltaktionen auf die italienischen Kolonien in Afrika, Eritrea, Somalia, Tripolitanien und, vor allem, der Cyrenaika, beschränkt. Dort führten Generalstabschef Badoglio, seit 1929 Generalgouverneur von Tripolitanien und der Cyrenaika, und sein Stellvertreter, General Graziani, beide Veteranen des Libyenkrieges von 1911/12, in den Jahren 1930/31 einen gnadenlosen, auch mit Hilfe von Giftgas geführten Kampf gegen eine Aufstandsbewegung im Norden des Landes, ja schließlich gegen die einheimische Nomadenbevölkerung insgesamt. Zehntausende kamen in Konzentrationslagern um. Im September 1931 wurde der Rebellenführer Omar al-Mukhtar nach einem Schauprozeß öffentlich hingerichtet. Bald darauf konnte Badoglio den erfolgreichen Abschluß des Feldzugs nach Rom melden.
    In Europa hingegen gab sich das faschistische Italien außenpolitisch überwiegend maßvoll, ja in einigen Fällen betont kooperativ. Es verständigte sich im Januar 1924 mit dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen über Fiume, das es bereits im September 1923, noch während der Korfukrise, seinem Staatsgebiet angegliedert hatte. Mit Rumänien wurde 1926, mit Ungarn 1927 ein Freundschaftsvertraggeschlossen. Ein anderes Land auf der Ostseite der Adria erfuhr, wie schon erwähnt, eine weniger freundliche Behandlung: Albanien wurde durch die beiden Tirana-Verträge von 1926 und 1927 immer mehr in außenpolitische und militärische Abhängigkeit von Italien gebracht. Auf das Verhältnis zum benachbarten Österreich nahm das Italien Mussolinis keine Rücksicht, als es im Sommer 1923 mit der rigorosen Italianisierung Südtirols begann und Italienisch zur Amts- und Schulsprache machte. 1925 wurde Italienisch auch zur Gerichtssprache erklärt; Anfang 1926 erging ein Dekret, daß den Südtirolern die Italianisierung ihrer Namen zur Pflicht machte; 1927 erfolgte ein Verbot deutscher Parteien und Vereine. Nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland rief dieses Vorgehen parteiübergreifend leidenschaftliche Proteste hervor. Die Politik des Reiches aber blieb davon im wesentlichen unberührt: Offiziell galt das Vorgehen Roms in «Alto Adige» (Oberetsch) als inneritalienische Angelegenheit. Nur einmal, im Februar 1926, beantwortete Außenminister Stresemann einen antideutschen Ausfall Mussolinis mit einer scharfen Zurechtweisung im Reichstag.
    Mitte der zwanziger Jahre war das Urteil der europäischen Öffentlichkeit über das faschistische Italien gespalten. Die Sozialdemokraten und die Kommunisten sahen in Mussolini den im Interesse der Kapitalisten regierenden blutigen Unterdrücker der Arbeiterklasse. Auf der äußersten Rechten gab es begeisterte

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