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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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ihnen konnten die Massen auch rasch zu den Reden strömen, die der charismatische «Duce» vom Balkon des Palazzo Venezia aus hielt.
    Von den älteren römischen Bauten galten Mussolini nur die antiken, und unter diesen vor allem die der Kaiserzeit, als wirklich erhaltenswert. Straßendurchbrüche sollten den Blick frei geben auf die Überreste des kaiserlichen Rom, den Kapitolshügel, das Forum Romanum, den Palatin, das Kolosseum und den Circus Maximus, und diese zu einem einzigen großen Erinnerungsmonument machen. Eben diesem Ziel diente auch das Projekt der Via dell’Impero, der heutigen Via dei fori Imperiali. Das antike Herrschaftszentrum wurde auf diese Weise von einem breiten faschistischen Straßenring umgeben, wobei der «Duce» auch bei diesen Straßen Wert darauf legte, daß sie sich für Paraden eigneten.
    Das alte Rom wurde während der Herrschaft Mussolinis radikal umgestaltet. Das Ergebnis hat Wolfgang Schieder wie folgt zusammengefaßt: «Das Rom der Antike, vor allem das kaiserliche Rom, ist seitdem topographisch nur noch in faschistischer Verfremdung präsent. Um die antiken Monumente in ihrer authentischen Form kennenzulernen, müßten daher erst einmal die faschistischen Überlagerungen abgetragen oder zumindest deutlich gemacht werden. Solange das nicht der Fall ist, wird die römische Antike durch den Faschismus repräsentiert.»
    Im faschistischen Romkult, der «romanità fascista», spiegelte sich der Wunsch des Regimes, sich durch Berufung auf ein historisches non plus ultra selbst zu erhöhen. Das Imperium Romanum galt als Vorbild des neuen, erst noch zu schaffenden Impero fascista. Aus dem alten Rom stammten die meisten Symbole und zahlreiche Begriffe der Faschisten, von «fasci» und den Liktorentürmen über die hierarchische Gliederung der Miliz in «manipoli», «centurie», «coorti» und «legioni» bis hin zum Gruß mit dem erhobenen rechten Arm. 1926 ließ sich Mussolini bei einem demonstrativen Flottenbesuch in Libyen, wo Italien in Kämpfe mit der einheimischen Unabhängigkeitsbewegung verwickelt war, als neuer Scipio Africanus feiern. Nach dem Vorbild des Augustus stilisierte er sich nach dem Abessinienkrieg von 1935/36 zum großen Friedensstifter. Rechtzeitig zum 2000. Geburtstag des ersten römischen Kaisers ließ er (als Teil eines modernen Pavillons zwischen dem völlig umgebauten Augustus-Mausoleum und dem Tiber) die Ara Pacis aus dem Jahr 9 vor Christus rekonstruieren. Italien und die Welt sollten wissen, wer der legitime Erbe des Augustus und der berufene Bewahrer seines Geistes war: der «Duce del Fascismo».
    Eine ausgefeilte, wissenschaftliche Geltung beanspruchende Ideologie besaß der Faschismus, anders als der Kommunismus, nicht. Was seine Propagandisten an Bekundungen grundsätzlicher Art vortrugen, entstammte zum größten Teil der irrationalistischen Lebensphilosophie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, namentlich der von Henri Bergson entwickelten Lehre vom «élan vital» und Georges Sorels Plädoyer für die «action directe» und den Mut zum Mythos. Im April 1925 verabschiedete ein Kongreß faschistischer Intellektueller in Bologna ein von Giovanni Gentile verfaßtes Manifest, das sich an die «Intellektuellen aller Nationen» richtete. Der Faschismus, heißt es dort, werde «wie alle groß gewordenen geistigen Bewegungen immer stärker, immer fähiger zur Anziehung und Aufsaugung, immer wirksamer im Gewebe der Geister, Ideen, Interessen, Institutionen, kurz – in das lebendige Gefüge des italienischen Volkes besser eingefügt. Dann kann es nicht mehr darum gehen, die einzelnen Menschen zu zählen und zu messen, sondern die Idee zu beachten und richtig einzuschätzen, die wie jede wahre und lebendige Idee, welche ihre eigene Kraft ist, nicht von Menschen gemacht ist, sondern umgekehrt die Menschen macht.» In einer kurz darauf veröffentlichten Antwort nannte Benedetto Croce das Manifest eine «Schülerarbeit, in der sichüberall ideologische Konfusionen und schlecht miteinander verknüpfte Überlegungen bemerkbar machen».
    Mussolini selbst hielt erst 1932 die Zeit für gekommen, in einem Beitrag für die «Enciclopedia Italiana» so etwas wie eine «Doktrin des Faschismus» (Dottrina del fascismo) vorzulegen. Der «Mensch des Faschismus» verkörperte aus seiner Sicht «ein Leben, in welchem das Individuum durch Selbstverleugnung, durch Preisgabe seiner Sonderinteressen, selbst durch den Tod jenes durch und durch geistige Dasein

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