Geschichte des Westens
Andersdenkendendurch die Allgegenwart seiner Geheimpolizei einschüchtert, das jede Art von Gewaltenteilung zugunsten des Machtmonopols
einer
Partei ausschaltet und mit Hilfe von Ideologie, Propaganda und Terror jene akklamatorische Zustimmung der Massen erzeugt, die es zur Legitimation nach innen und außen benötigt. In dieser Richtung hatte sich das faschistische Italien schrittweise entwickelt. Seit der Errichtung des Einparteienstaates Ende 1926 kam der Staat Mussolinis dem totalitären Regimetyp so nahe wie keine andere zeitgenössische Diktatur mit Ausnahme der Sowjetunion, in der Stalin um dieselbe Zeit seine verbliebenen Rivalen vollends ausschaltete.
Unbeschränkt aber war die Herrschaft Mussolinis nicht. Es gab neben dem «Duce del Fascismo» den König, der, wenn auch über kein persönliches, so doch über ein Amtscharisma verfügte und auch im Krieg militärischer Oberbefehlshaber der Streitkräfte in der Heimat blieb, es gab das von der faschistischen Partei nicht voll kontrollierte Militär, den zivilen Staatsapparat und die katholische Kirche, die in einem erheblichen Teil der italienischen Gesellschaft hohe Autorität genoß. Diese Gesellschaft war keineswegs vollständig gleichgeschaltet. Die Arbeiterschaft hatte das Regime zwar neutralisieren, aber nicht wirklich integrieren können. Im liberalen Bürgertum waren, wenn man aus dem Verhalten der liberalen Politiker und dem Wandel von Croces Positionen derart verallgemeinernde Schlußfolgerungen ziehen darf, die Vorbehalte gegen das Regime nach 1924 stärker als vor der Matteotti-Krise.
Zu den Stützen des faschistischen Staates gehörten nach wie vor Großgrundbesitzer und Industrielle, deren Hilfe entscheidend dazu beigetragen hatte, daß Mussolini im Oktober 1922 das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen konnte. Aber sie bestimmten nicht die Politik des Regimes, sondern sahen sich durch den wachsenden Einfluß des faschistischen Apparats mehr und mehr in die Defensive gedrängt. Zu keiner Zeit traf auf Italien die berühmte von Georgi Dimitroff vorgetragene Faschismusdefinition des 13. Plenums des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale vom Dezember 1933 zu, wonach der «Faschismus an der Macht … die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals» war.
Sehr viel näher kam 1930 ein rechtskommunistischer Abweichler aus Deutschland, August Thalheimer, der Wirklichkeit im faschistischenItalien. Er knüpfte an die von Karl Marx 1852 in seinem «Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte» vorgelegte Analyse des bonapartistischen Regimes in Frankreich an. Demnach war das politische System Louis Napoleons, des späteren Kaisers Napoleon III., die «verselbständigte Macht der Exekutivgewalt». Louis Napoleon war die höchste Staatsgewalt zugefallen, weil der offene Krieg zwischen Bourgeoise und Proletariat sich erschöpft hatte und keine der beiden Klassen stark genug war, eine neue Schlacht zu schlagen. Die Bourgeoisie war zu der Einsicht gelangt, daß sie, um ihre soziale Macht zu retten, auf die unmittelbare Ausübung ihrer politischen Macht über das Parlament verzichten und sich unter den Schutz einer starken Exekutivgewalt stellen mußte.
Parallelen zur Gegenwart lagen Thalheimer zufolge auf der Hand. Die Diktatur des italienischen Faschismus bedeutete, wie die des Bonapartismus in Frankreich, «die ‹Verselbständigung der Exekutivgewalt›, die politische Unterwerfung aller Massen, einschließlich der Bourgeoisie selbst, unter die faschistische Staatsmacht bei sozialer Herrschaft der Großbourgeoisie und der Großgrundbesitzer. Gleichzeitig will der Faschismus, wie der Bonapartismus, der allgemeine Wohltäter aller Klassen sein: daher ständige Ausspielung einer Klasse gegen die andere, ständige Bewegung in Widersprüchen im Innern.»
Mussolini als italienische Reinkarnation des zweiten Kaisers aus dem Hause Bonaparte: Bei allen Unterschieden zwischen Bonapartismus und Faschismus, die auch Thalheimer nicht leugnete, gab es in der Tat manche frappierenden Parallelen. Wie siebzig Jahre zuvor in Frankreich war es auch in Italien dem Proletariat nicht gelungen, selbst an die Macht zu kommen. Auch hier waren breite bürgerliche Kreise des instabilen parlamentarischen Systems überdrüssig und entsprechend empfänglich für das Versprechen eines starken Staates. Hier wie dort verfügte der Usurpator über eine gewaltbereite
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