Geschichte des Westens
scheidenden Präsidenten der Prudential Insurance Company, Sir George May, ein, das Sparvorschläge ausarbeiten sollte.
Die Arbeiten des Komitees waren noch nicht abgeschlossen, als sich im Juni eine Royal Commission, die die Probleme der Arbeitslosenversicherung untersuchen sollte, in einem Zwischengutachten für eine Erhöhung der Beiträge zu dieser Versicherung und eine Senkung ihrer Leistungen aussprach. Im Juli legte das May-Komitee gegen die Stimmen der beiden Labour-Mitglieder seinen bewußt dramatisch gehaltenen Bericht vor. Aus den Defiziten der Arbeitslosenversicherung und des Gesamtbudgets zogen die Experten die Folgerung, daß Großbritannien am Rande eines finanziellen Desasters stehe. Empfohlen wurde eine Senkung der staatlichen Ausgaben um insgesamt 96 Millionen Pfund und der Arbeitslosenversicherung allein um 66,5 Millionen Pfund. Die Leistungen zugunsten der Erwerbslosen hätten um 20 Prozent vermindert werden müssen, um der zweiten Forderung Genüge zu tun. Außerdem sprach sich das Komitee für eine Senkung der Lehrergehälter und der Ausgaben für öffentliche Arbeiten aus.
Die Regierung setzte sogleich einen Wirtschaftsausschuß ein, der unter Vorsitz des Premierministers tagen und die Umsetzung der Empfehlungen vorbereiten sollte. Zu den Folgen des Berichts gehörte eine Flucht aus dem Pfund ins Gold, womit sich eine Entwicklung verstärkte,die schon im Mai nach dem Zusammenbruch der Österreichischen Kreditanstalt eingesetzt hatte. Als die Bank of England sich um neue Auslandsanleihen aus New York und Paris in Höhe von 80 Millionen Pfund bemühte, wurde sie mit der Bedingung konfrontiert, die britische Regierung möge die Empfehlungen des May-Komitees befolgen, in jedem Fall aber sich auf rigorose Einsparungen festlegen und den Goldstandard beibehalten.
Am 20. August 1931 berichteten MacDonald und Snowden den Führungen der Labour Party und des Trade Union Congress (TUC) von den geplanten Einschnitten bei der Arbeitslosenversicherung. Die Reaktion der Gewerkschaften war negativ: Die Vorsitzenden des TUC, Walter Citrine, und der Transportarbeitergewerkschaft, Ernest Bevin, gaben zu Protokoll, daß sie den Kürzungen nicht zustimmen könnten. Im Kabinett kam drei Tage später nur eine knappe Mehrheit von 11 zu 9 Stimmen für das Programm des Premierministers und des Schatzkanzlers zustande. MacDonald hielt diese Unterstützung nicht für ausreichend und begab sich am Morgen des 24. August zu Georg V. in den Buckingham-Palast, um seinen Rücktritt zu erklären. Der König ersuchte den Premierminister jedoch, ein Koalitionskabinett aus Labour Party, Konservativen und Liberalen zu bilden – eine Aufforderung, der MacDonald ohne zu zögern und offenbar nicht ungern nachkam.
Am 25. August bereits trat die neue «Nationale Regierung» ihr Amt an. Sie bestand aus vier Ministern des bisherigen Labour-Kabinetts, darunter MacDonald und Snowden, die ihre Posten behielten, vier Tories, unter ihnen Stanley Baldwin als Lord President of the Council und faktischer Vizepremier, sowie zwei Liberalen, darunter Innenminister Sir Herbert Samuel. Die Labour Party wurde von MacDonald vor vollendete Tatsachen gestellt, und sie rebellierte. Noch am 25. August übernahmen faktisch die Gewerkschaften und die außerparlamentarische Parteiorganisation die Macht. In der Fraktionssitzung vom 25. August, an der nur vier Mitglieder des «alten» Kabinetts MacDonald teilnahmen, wurde der bisherige Außenminister Arthur Henderson zum Vorsitzenden gewählt. Am 28. August folgte der Parteiausschluß von MacDonald, Snowden und den beiden anderen Labour-Mitgliedern des National Government, Kolonialminister James Henry Thomas und Lord Chancellor (Justizminister) John Sankey. In der Mitgliedschaft und bei den Anhängern der Labour Party galten MacDonald, Snowden und ihre Getreuen fortan als Verräter.
Das Verhalten der Labour-Fraktion und der Gewerkschaften Ende August 1931 erinnerte in manchem an die Auflehnung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion und der Freien Gewerkschaften gegen Reichskanzler Hermann Müller und zwei der drei weiteren sozialdemokratischen Mitglieder der Reichsregierung am 27. März 1930, nachdem diese dem «Brüning-Kompromiß» zur Reform der Arbeitslosenversicherung zugestimmt hatten. In beiden Fällen stellten sich Partei und Gewerkschaften gegen soziale Einschnitte, die die gouvernementale Minderheit für notwendig hielt. In Deutschland bewirkte die Konfrontation den Sturz der
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