Geschichte des Westens
kleineren Regierungsparteien lagen bei 3,7, 6,5 und 1,5 Prozent. Die Labour Party fiel von 288 Sitzen im Mai 1929 auf nunmehr 52. Der Rückgang beim Stimmenanteil war weniger dramatisch: Er lag 1929 bei 37,1 und zweieinhalb Jahre später bei 30,8 Prozent. Die oppositionellen Independent Liberals konnten 4, andere Parteien 5 Mandate erobern. Die Kommunistische Partei und die New Party gingen leer aus: Die erstere verbuchte rund 70.000 (0,3 Prozent), die letztere etwa 40.000 Stimmen (0,2 Prozent). Vielleicht hätten mehr Wähler für die radikalen Flügelparteien gestimmt, wenn das Wahlrecht ein anderes, nämlich ein proportionales gewesen wäre. Das traditionelle Mehrheitswahlrecht ließ jedoch jede Stimme für extreme Gruppierungen als «verloren» erscheinen; es förderte den Trend zur Mitte – zu Parteien, denen man zutraute, die nächste Regierung zu stellen oder zumindest an ihr beteiligt zu werden.
Trotz des großen Wahlerfolgs der Konservativen behielt Ramsay MacDonald im wechselseitigen Einvernehmen der Regierungsparteien das Amt des Premierministers. Das Außenministerium übernahm Sir John Simon, der Vorsitzende der Nationalliberalen, Schatzkanzler wurde der Tory Neville Chamberlain. Im Februar 1932 wurden die im Wahlkampf versprochenen Schutzzölle in Form eines Aufschlags von 10 Prozent auf die importierten Güter eingeführt, womit Großbritannien sich vom viktorianischen Erbe des Freihandels verabschiedete. Für die Staaten des Commonwealth wurde im August 1932 auf der Reichskonferenz in Ottawa ein differenziertes System von Zollpräferenzen vereinbart und das Pfund Sterling zur Leitwährung der «Sterling-Zone» erhoben. Die Beschlüsse von Ottawa zahlten sich in meßbarer Form aus: Der Anteil der britischen Exporte in die Staaten und Kolonien des Empire stieg zwischen 1934 und 1938 von 35 auf 41,3 Prozent des Vorkriegsstandes, der Anteil der Importe aus dem Empire von 29,6 auf 41,2 Prozent – ein wichtiger Beitrag zur Überwindung der Depression im britischen Mutterland wie im Commonwealth, nicht aber in der übrigen Welt.
Vom Wirtschaftsliberalismus wandte sich die Nationale Regierung auch auf dem Binnenmarkt ab. Zwei Agrarmarktgesetze von 1931 und 1933 schufen Aufsichtsgremien, die für eine zweckmäßige Vermarktung von Kartoffeln, Milch, Schweinefleisch und anderen landwirtschaftlichenErzeugnissen sorgen sollten. Ein Weizengesetz von 1932 setzte für diesen Bereich einen staatlich garantierten Standardpreis fest. Es folgten in den Jahren 1934 bis 1936 Gesetze, die den wirtschaftlichen Wiederaufbau in den besonders von der Krise betroffenen Regionen fördern und die Produktions- und Absatzbedingungen in der Baumwollindustrie und bei den Werften verbessern sollten. Auf dem Höhepunkt der Depression hatten die Arbeitslosen aber nicht den Eindruck, daß die Regierung in London sich hinreichend um eine Linderung ihrer Not kümmerte. 1931 kam es, häufig aus Anlaß von Hungermärschen, in über 30 britischen Städten, darunter in Rochdale, Belfast und Merseyside, zu (verglichen mit Deutschland freilich meist harmlos wirkenden) Zusammenstößen zwischen der Polizei beziehungsweise zu Hilfe gerufenen Armeeeinheiten und demonstrierenden Erwerbslosen.
Große Beachtung fand im Oktober 1932 ein «Nationaler Hungermarsch», der wie viele andere dieser Märsche von dem National Unemployed Workers Movement (NUWM) organisiert wurde. An der Spitze dieser Ende 1920 gegründeten Vereinigung standen zunächst Wal Hannington und später Sid Elias, zwei Mitglieder der Kommunistischen Partei, und auch in den meisten Aktionsgruppen gaben Kommunisten den Ton an. Im Verlauf der Demonstrationen vom Oktober 1932 wurden vielerorts öffentliche Gebäude und Wohlfahrtsbüros belagert; in London, Manchester, Glasgow und Südwales kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Bis Dezember 1932 wurden 1300 Angehörige des NUWM verhaftet und 421, darunter Hannington und Elias, zu Freiheitsstrafen wegen Aufruhrs verurteilt. Der TUC unternahm im Januar 1933 einen eher zaghaften Versuch, einen eigenen Erwerbslosenverband aufzubauen, hatte damit aber keinen Erfolg.
Die Labour Party grenzte sich scharf von den Kommunisten ab, indem sie 1930 die Zugehörigkeit zu prokommunistischen Organisationen wie der Liga gegen den Imperialismus, dem Left Wing Movement, den Freunden Sowjetrußlands und dem NUWM für unvereinbar mit der Übernahme von Wahlämtern der eigenen Partei erklärte. Dem linken Parteiflügel erschienen solche
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