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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit vom 5. September, und dann die Mißtrauensanträge gegen das Kabinett von Papen zu erledigen. Obwohl der Widerspruch eines einzigen Abgeordneten genügt hätte, um die Änderung der Tagesordnung zu verhindern, erhob niemand Einwände. Die NSDAP beantragte, um Hitlers Entscheidung über das weitere Vorgehen einzuholen, die Unterbrechung der Sitzung um eine halbe Stunde und erhielt für diesen Antrag eine Mehrheit.
    Papen war durch den Vorstoß der KPD völlig überrumpelt worden. Erst in der Sitzungspause besorgte er sich die «rote Mappe» mit der Auflösungsorder des Reichspräsidenten und legte diese, nachdem Reichstagspräsident Göring zwei Wortmeldungen des Reichskanzlers geflissentlich übersehen hatte, auf den Tisch des Präsidenten. Göring ignorierte die Mappe und ließ das Plenum über die beiden Anträge der KPD gemeinsam abstimmen. Nachdem die Mitglieder der Regierung den Reichstag längst verlassen hatten, gab er das Ergebnis der Abstimmung bekannt: Von 560 abgegebenen Stimmzetteln war einer ungültig; 512 Abgeordnete hatten mit Ja gestimmt, 42 mit Nein, 5 hatten sich enthalten. Die Nein-Stimmen kamen von DNVP und DVP; die Abgeordneten einiger kleinerer Gruppierungen waren der Abstimmung fern geblieben. Alle anderen Fraktionen, von den Nationalsozialisten bis zu den Kommunisten, hatten für die Anträge der KPD gestimmt.
    Die Abstimmung war ungültig, weil der Reichstag in dem Moment aufgelöst war, wo der Reichskanzler die Auflösungsorder auf denTisch des Reichstagspräsidenten legte. Aber der politische Effekt der Abstimmung ließ sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Mehr als vier Fünftel der Abgeordneten hatten der Regierung von Papen das Mißtrauen ausgesprochen, und es war die Nachlässigkeit des Reichskanzlers, die zu diesem Debakel geführt hatte.
    Als das Kabinett zwei Tage später über das weitere Vorgehen beriet, traute sich Papen die große Kraftprobe nicht mehr zu, für die er am 30. August in Neudeck die Unterstützung Hindenburgs gewonnen hatte. Nur Gayl und Schleicher plädierten für eine unbefristete Vertagung von Neuwahlen, wobei der Reichswehrminister darauf verwies, daß die Staatsrechtslehrer Carl Schmitt, Erwin Jacoby und Carl Bilfinger, die Prozeßvertreter des Reiches im Rechtsstreit «Preußen contra Reich», für diesen Fall das Vorliegen eines «echten Staatsnotrechtes» bejaht hätten. Papen und die übrigen Minister hielten den Zeitpunkt für ein Abweichen von der Verfassung noch nicht für gekommen. Am 17. September beschloß das Kabinett, dem Reichspräsidenten als Termin für die Neuwahl des Reichstags den 6. November 1932, das spätestmögliche Datum, vorzuschlagen. Am 20. September unterzeichnete Hindenburg die entsprechende Verordnung.
    An der Absicht einer grundlegenden Verfassungsrevision hielt Papen trotz der politischen Niederlage im Reichstag fest. Am Abend des 12. September trug er über den Rundfunk seine Regierungserklärung vor, in der er die Ausarbeitung einer berufsständisch-autoritären Verfassung entsprechend der von Gayl am 11. August skizzierten Linie und einen Volksentscheid hierüber ankündigte. Einen Monat später, am 12. Oktober 1932, nutzte der Reichskanzler eine Tagung des Bayerischen Industriellenverbandes in München, um seine Vorstellungen von einer konservativen Reichsreform in einen großen historischen, ja geschichtstheologisch überhöhten Zusammenhang einzuordnen. Vermutlich von dem jungkonservativen Schriftsteller Edgar Jung, einem katholisierenden Protestanten und Autor des 1927 erschienenen, scharf antiparlamentarischen und antidemokratischen Buches «Die Herrschaft der Minderwertigen» angeregt, beschwor Papen den «unsichtbaren Kraftstrom des sacrum imperium, der unzerstörbaren Idee des heiligen Deutschen Reiches».
    Der Mythos des Reiches gewann während der deutschen Staatskrise in dem Maß an Strahlkraft, wie die Republik an Rückhalt verlor. Die Reichsidee diente aber auch der Rechtfertigung des deutschen Anspruches,etwas anderes und mehr zu sein als ein Nationalstaat im westlichen, durch die Ideen von 1789 geprägten Sinn. «Nur ein von Deutschen geführtes Europa kann ein befriedetes Europa werden», verkündete 1932 Wilhelm Stapel, der Herausgeber der jungkonservativen Zeitschrift «Deutsches Volkstum». «Das Reich wird zur innen- und außenpolitischen Losung», stellte der katholische Publizist Waldemar Gurian, ein Kritiker der neuen politischen Romantik, im

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