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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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unterstreichen, hatte der Führer der Nationalsozialisten rund um Berlin starke Verbände der SA zusammengezogen. Von Schleicher und Papen erfuhr Hitler am Vormittag des 13. August, daß Hindenburg nicht bereit sei, ihm das Amt des Reichskanzlers zu übertragen. Papen bot ihm unautorisiert den Posten des Vizekanzlers an und versprach ihm sogar, nach einiger Zeit zu seinen Gunsten zurückzutreten. Hitler lehnte die Offerte jedoch ab und bestand weiterhin auf seiner Kanzlerschaft.
    Die Begegnung mit dem Reichspräsidenten am Nachmittag des 13. August, an der auch Papen und Hindenburgs Staatssekretär Meissner, auf seiten der Nationalsozialisten der Stabschef der SA, Ernst Röhm, und der Fraktionsvorsitzende der NSDAP im Reichstag, Wilhelm Frick, teilnahmen, wurde für Hitler zur schwersten politischen Niederlage seit seinem gescheiterten Münchner Putsch vom 8. und 9. November 1923. Hindenburg setzte Hitlers Forderung nach der Kanzlerschaft laut Meissners Protokoll ein «klares, bestimmtes ‹Nein›» entgegen. «Er könne es vor Gott, seinem Gewissen und seinem Vaterlande nicht verantworten, einer Partei die gesamte Regierungsgewaltzu übertragen, noch dazu einer Partei, die einseitig gegen Andersdenkende eingestellt wäre.» Als weitere Gründe für seine ablehnende Haltung nannte Hindenburg die Sorge vor inneren Unruhen und die Wirkung auf das Ausland.
    Die amtliche Verlautbarung über die Zusammenkunft fiel knapp und scharf aus, so daß sich Hitler nun auch öffentlich gedemütigt fühlte. Noch bevor er das Kommuniqué zu lesen bekam, machte er dem Kanzler schwere Vorwürfe: Dieser habe ihm nicht im voraus klar gesagt, daß Hindenburgs Entschluß bereits feststehe. Er drohte Papen und Meissner, die weitere Entwicklung würde doch unaufhaltsam zu der von ihm vorgeschlagenen Lösung oder zum Sturz des Reichspräsidenten führen. Die Regierung werde in eine schwierige Lage kommen und die Opposition sehr scharf werden. Für die Folgen, die sich daraus ergäben, könne er keine Verantwortung übernehmen. Das war eine unverhüllte Erpressung: Für den Fall, daß sein Machtanspruch nicht erfüllt werde, drohte Hitler die Aufkündigung seines Legalitätskurses, also revolutionäre Gewalt und Bürgerkrieg, an.
    Zweieinhalb Wochen später, am 30. August, fanden sich Papen, Gayl und Schleicher bei Hindenburg in Neudeck zu einem Gespräch über die innenpolitische Lage ein. Der Reichskanzler sprach von der schon bald erforderlich werdenden Auflösung des Reichstags und empfahl, die Neuwahlen über die verfassungsmäßige Frist von sechzig Tagen hinaus zu verschieben. Ein solcher Aufschub verletze zwar den einschlägigen Artikel 25, es liege aber ein «staatlicher Notstand» vor, der den Reichspräsidenten zu einem solchen Schritt berechtige. «Der Herr Reichspräsident habe in seinem Eid auch die Pflicht übernommen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden; eine Neuwahl in dieser politisch erregten Zeit mit all den Terrorakten und Mordtaten wäre aber ein großer Schaden am deutschen Volke.» Im gleichen Sinn sprach sich Gayl aus, der am 10. August im Kabinett als erster den Aufschub von Neuwahlen vorgeschlagen hatte.
    Hindenburg zögerte nicht, auf die Empfehlung Papens und Gayls einzugehen. Um Nachteil vom deutschen Volk abzuwenden, erklärte er, könne er es vor seinem Gewissen verantworten, «bei dem staatlichen Notstand, der nach Auflösung des Reichstags gegeben sei, die Bestimmungen des Artikels 25 dahin auszulegen, daß bei der besonderen Lage im Lande die Neuwahl auf einen späteren Termin verschoben werde.» Für Papen, Gayl und Schleicher war diese Zusage ebensowichtig wie die umstandslos erteilte und sogleich unterzeichnete Blanko vollmacht zur Auflösung des Reichstags.
    Der 30. August 1932 war nicht nur der Tag des Neudecker Notstandstreffens, sondern auch der konstituierenden Sitzung des neugewählten Reichstags. Zum Präsidenten wurde, entsprechend einem ungeschriebenen Gesetz, der Kandidat der stärksten Fraktion, der Nationalsozialist Hermann Göring, gewählt. Am 12. September trat der Reichstag zu seiner zweiten Sitzung zusammen. Einziger Punkt der Tagesordnung war die Entgegennahme einer Regierungserklärung. Doch gleich zu Beginn stellten die Kommunisten den Antrag, die Tagesordnung zu ändern und zunächst die Anträge der Fraktion der KPD auf Aufhebung von zwei neuen Verordnungen, der Notverordnung zur Belebung der Wirtschaft vom 4. September und der auf sie gestützten Verordnung zur

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