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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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NSDAP, der DNVP, der DVP und einiger kleinerer Gruppen, zusammen, so verfügten sie über keine Mehrheit. Eine numerische Mehrheit hätte eine braun-schwarze Koalition gehabt, aber diese Variante schied aus, weil die beiden katholischen Parteien bei ernsthaften Verhandlungen auf Verfassungsgarantien bestanden hätten, die Hitler nicht zu geben bereit war.
    Die Nationalsozialisten waren bitter enttäuscht, daß sie trotz ihres Wahlerfolgs der politischen Macht offenbar nicht näher gekommen waren. Die Verbitterung entlud sich Anfang August in einer Welle blutiger Attentate auf politische Gegner, wobei die SA vor allem dort zuschlug, wo sie besonders stark war: im Osten des Reiches. Am 9. August sah sich die Regierung genötigt, eine neue Notverordnung gegenden politischen Terror zu erlassen, die die Todesstrafe auf Totschlag aus politischen Beweggründen ausdehnte und in den besonders gefährdeten Bezirken Sondergerichte einrichtete.
    Drei Tage zuvor, am 6. August, hatte sich Hitler in der Nähe von Berlin zu einem langen Geheimgespräch mit dem Reichswehrminister getroffen. Dem Führer der NSDAP gelang es im Verlauf dieser Unterredung, Schleicher davon zu überzeugen, daß er, Hitler, die Führung der Reichsregierung und seine Partei die Ämter des preußischen Ministerpräsidenten sowie, in Personalunion, die Ressorts für Inneres, Erziehung und Landwirtschaft im Reich und in Preußen, ferner das Reichsjustizministerium und ein neu zu schaffendes Luftfahrtministerium übernehmen müsse. Mit seiner grundsätzlichen Zustimmung zu Hitlers Forderungen vollzog Schleicher eine dramatische Kehrtwendung. Anfang August 1932 hielt er es für eine ausreichende Sicherung gegen die Alleinherrschaft der NSDAP, wenn die Reichswehr ihrer Kontrolle entzogen blieb.
    Der Reichspräsident, der sich zu dieser Zeit auf seinem Gut Neudeck in Ostpreußen aufhielt, sah das ganz anders und lehnte Schleichers Vorschlag unwirsch ab. Nicht anders reagierte Hindenburg, als er, nach Berlin zurückgekehrt, am 10. August von Reichskanzler von Papen mit der Überlegung konfrontiert wurde, Hitler als Kanzler an die Spitze einer das Zentrum einbeziehenden Mehrheitsregierung zu berufen. Bei dieser Gelegenheit fiel die vielzitierte Bemerkung, es sei doch ein starkes Stück, daß er, Hindenburg, den «böhmischen Gefreiten» zum Reichskanzler machen solle.
    Auch in der Reichsregierung gingen am 10. August die Meinungen über den Kurs, der Hitler gegenüber einzuschlagen war, weit auseinander. Justizminister Gürtner und Finanzminister Schwerin von Krosigk waren für eine Regierungsbeteiligung der Nationalsozialisten, Innenminister von Gayl strikt dagegen. Er zeigte sich sogar bereit, mit der NSDAP einen Kampf «auf Leben und Tod» zu führen, und befürwortete eine «Revolution von oben»: die Auflösung des Reichstags, den Aufschub von Neuwahlen über die in der Verfassung vorgesehene Frist von sechzig Tagen hinaus und die Oktroyierung eines neuen Wahlrechts.
    Tags darauf, am 11. August, fand in Gegenwart des Reichspräsidenten die traditionelle Verfassungsfeier der Reichsregierung statt. Es war das erste Mal in der Geschichte der Weimarer Republik, daß derFestredner bei dieser Gelegenheit eine Ansprache
gegen
das Verfassungswerk von 1919 hielt. Reichsinnenminister von Gayl begann mit der Feststellung, daß die Weimarer Verfassung die Deutschen nicht einige, sondern trenne, und plädierte dann für eine Verfassungsreform im autoritären Sinn. Kernpunkte waren die Heraufsetzung des Wahlalters, die Gewährung von Zusatzstimmen an Familienernährer und Mütter, eine Verselbständigung der Regierungsgewalt und die Schaffung einer berufsständischen ersten Kammer, die ein Gegengewicht zum Reichstag bilden sollte. Was Gayl vortrug, waren die Umrisse des «Neuen Staates», wie ihn wenig später der Publizist Walther Schotte in einer offiziösen, vom Reichskanzler eingeleiteten Broschüre unter ebendiesem Titel ausführlicher beschrieb. Es war zugleich die Quintessenz der innenpolitischen Reformvorstellungen, wie sie seit geraumer Zeit von Autoren der «Konservativen Revolution», vor allem von der «Ring-Bewegung» um Heinrich von Gleichen-Russwurm, den Gründer des «Herrenklubs», und dem Kreis um die Zeitschrift «Die Tat» und ihren Herausgeber Hans Zehrer, diskutiert wurden.
    Für den 12. und 13. August waren Verhandlungen Hitlers erst mit dem Reichskanzler, dann mit dem Reichspräsidenten vorgesehen. Um seinen Anspruch auf die Macht zu

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