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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Staat von Weimar zu vernichten, schöpfte Hitler die Möglichkeiten, die ihm die Weimarer Verfassung bot, bis zum letzten aus. Die Legalitätstaktik, die er seiner Partei verordnete, war ungleich erfolgreicher als das Bekenntnis zur revolutionären Gewalt, dem er sich zehn Jahre zuvor, in der Zeit bis zu seinem Münchner «Bierhallenputsch» vom 8. und 9. November 1923, verschrieben hatte und dem die andere totalitäre Partei, die KPD, nach wie vor huldigte. Da die Kommunisten den Bürgerkrieg offen propagierten, gaben sie den Nationalsozialisten, die selbst die größte Bürgerkriegsarmee unterhielten, die Möglichkeit, sich als Hüter der Verfassung darzustellen – als Ordnungsfaktor, der bereitstand, einen gewaltsamen Umsturzversuch von links zusammen mit der Reichswehr niederzuschlagen. Gleichzeitig konnte Hitler den Regierenden für den Fall, daß sie selbst das Recht brachen oder, wie bei der Notverordnung gegen den politischen Terror vom 9. August 1932, zu Lasten der Nationalsozialisten änderte, mit revolutionärer Gewalt und damit dem Bürgerkrieg drohen.
    Die Angst vor dem Bürgerkrieg war seit der deutschen Urkatastrophe, dem Dreißigjährigen Krieg,
die
deutsche Angst schlechthin. Mit seiner Legalitätstaktik trug Hitler dieser Angst gekonnt Rechnung. Sein bedingtes Legalitätsversprechen, das eine Erpressung in sich schloß, erfüllte seinen Zweck. Die Furcht der etablierten Rechten vor dem revolutionären Charakter des Nationalsozialismus wich schließlich dem Glauben, der Führer der «nationalen» Massen werde einer autoritären Politik die dringend benötigte populäre Basis verschaffen. Die Illusion der Autoritären wurde flankiert von der Illusion der Demokraten. Um den Rechtsstaat zu bewahren, hätten seine Verteidiger (und sei es auch nur in Form der faktischen Nichtbeachtung eines negativen Mißtrauensvotums) gegen den Buchstaben einer Verfassung verstoßen müssen, die letztlich gegen ihre eigene Geltung neutral war. Doch dem stand eine «funktionalistische» Auffassung von Legalität entgegen, die Carl Schmitt in seiner im Sommer 1932 erschienenen Schrift «Legalität und Legitimität» mit den Worten geißelte, sie gehe «in ihrer Neutralität bis zum Selbstmord». Der sozialdemokratische Jurist Ernst Fraenkel meinte nichts anderes, als er Ende 1932 in einemAufsatz in der «Gesellschaft» den verbreiteten «Verfassungsfetischismus» anprangerte. Weimar hatte sich in der Legalitätsfalle gefangen, die die Schöpfer der Verfassung selbst, wenn auch ungewollt, aufgestellt hatten.
    Am 10. Februar 1933 eröffnete Hitler den Reichstagswahlkampf mit einer Rede im Berliner Sportpalast. Seinen Anklagen gegen die «Parteien des Zerfalls, des Novembers, der Revolution», die vierzehn Jahre lang das deutsche Volk zerstört, zersetzt und aufgelöst hätten, folgte der Aufruf an die Deutschen, der neuen Regierung vier Jahre Zeit zu geben und dann über sie zu richten. Die letzten Worte der Rede waren der Bibel und der evangelischen Fassung des Vaterunser nachempfunden. Hitler versuchte auf diese Weise, den eigenen Willen zur Macht als Dienst am «Reich» und als Erfüllung eines göttlichen Auftrags erscheinen zu lassen: «Denn ich kann mich nicht lossagen von der Überzeugung, daß diese Nation wieder einst auferstehen wird, kann mich nicht entfernen von der Liebe zu diesem meinem Volk und hege felsenfest die Überzeugung, daß eben doch einmal die Stunde kommt, in der die Millionen, die uns heute hassen, hinter uns stehen und mit uns begrüßen werden das gemeinsam geschaffene, mühsam erkämpfte, bitter erworbene neue deutsche Reich der Größe und der Ehre und der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit. Amen!»
    Was er zu tun gedachte, wenn die Deutschen seinem Appell folgten, hatte Hitler eine Woche zuvor, am 3. Februar 1933, in einer geheimen Rede vor den Befehlshabern des Heeres und der Marine in der Dienstwohnung des Chefs der Heeresleitung, General von Hammerstein-Equord, umfassend, wenn auch nicht vollständig dargelegt: «Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel … Straffste autoritäre Staatsführung. Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie! … Aufbau der Wehrmacht wichtigste Voraussetzung zur Erreichung des Ziels: Wiedererringung der politischen Macht. Allgemeine Wehrpflicht muß wieder kommen … Wie soll politische Macht, wenn sie gewonnen, gebraucht werden? Jetzt noch nicht zu sagen. Vielleicht Erkämpfung neuer Exportmöglichkeiten, vielleicht – und wohl

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