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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Zentrumspartei, Prälat Kaas, jedoch ablehnen. Damit lieferte er dem Kanzler den Vorwand, die Verhandlungen noch am 31. Januar für gescheitert zu erklären und die erste wichtige Entscheidung seines Kabinetts herbeizuführen: das Ersuchen an Hindenburg, den Reichstag aufzulösen. Am 1. Februar ergingen das entsprechende Dekret und eine weitere Verordnung des Reichspräsidenten, die als Wahltermin den 5. März 1933 bestimmte. Bis dahin konnte und mußte sich das Kabinett Hitler auf die Notstandsvollmachten des Artikels 48 stützen.
    Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler war
nicht
der unausweichliche Ausgang der deutschen Staatskrise, die mit dem Bruch der Großen Koalition am 27. März 1930 begonnen und sich seit der Entlassung Brünings am 30. Mai 1932 dramatisch zugespitzt hatte. Hindenburg mußte sich von Schleicher so wenig trennen, wie er genötigt gewesen war, Brüning durch Papen auszuwechseln. Er hätte Schleicher nach einem Mißtrauensvotum des Reichstags als Chef einer geschäftsführenden Regierung im Amt halten oder durch einen nicht polarisierenden «überparteilichen» Kanzler ersetzen können. Die neuerliche Auflösung des Reichstags innerhalb der verfassungsmäßigen Frist von sechzig Tagen war ihm nicht verwehrt; der Aufschub von Neuwahlen bis in den Herbst 1933 war hingegen nach den entsprechenden Erklärungen aus der politischen Mitte und von seiten der Sozialdemokratie kaum weniger riskant als im Jahr zuvor. Nichts zwang den Reichspräsidenten dazu, Hitler zum Reichskanzler zu machen. Hitler war zwar immer noch, trotz seiner Niederlage in der Reichstagswahl vom 6. November 1932, der Führer der stärksten Partei, aber eine Mehrheit im Reichstag gab es für ihn nicht.
    Bis in den Januar 1933 hinein hatte sich der Reichspräsident, umeine Parteidiktatur der Nationalsozialisten zu verhindern, der Kanzlerschaft Hitlers widersetzt. Hindenburg änderte seine Haltung, weil ihn nun auch seine engsten Berater dazu drängten und weil er das Risiko der Diktatur durch das Übergewicht konservativer Minister im Kabinett Hitler verringert, wenn nicht beseitigt sah. Vermutlich spielte auch persönliche Enttäuschung über Schleicher eine Rolle: Vorwürfen, die im Zusammenhang mit dem «Osthilfeskandal» gegen den Reichspräsidenten und seine Umgebung erhoben wurden, trat der letzte Kanzler der Weimarer Republik nicht ausdrücklich entgegen. Auf Schleichers Entlassung und Hitlers Ernennung arbeiteten einflußreiche Kreise der seit Bismarcks Zeiten vom Staat subventionierten ostelbischen Großlandwirtschaft hin, sowie, vorzugsweise auf dem Weg über Papen, der rechte Flügel der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie. Entsprechenden Druck übten zuletzt fast alle Personen aus, die Zugang zum Reichspräsidenten hatten. Diesem Druck zu widerstehen war der Greis nicht mehr stark genug. Das Machtzentrum um Hindenburg hatte sich im Januar 1933 für das Wagnis mit Hitler entschieden, und Hindenburg als Person war nur ein, wenn auch der wichtigste, Teil des Machtzentrums.
    Der 30. Januar war also weder ein zwangsläufiges Ergebnis der vorangegangenen politischen Entwicklung noch ein Zufall. Hitlers Massenrückhalt machte seine Ernennung möglich, aber erst durch den Willen Hindenburgs und des Milieus, das er verkörperte, wurde er Kanzler. Die politische Stärke jener «alten Eliten», die auf eine «Regierung der nationalen Konzentration» unter Hitler drängten, war ebenso wie der Zulauf zu seiner Partei eine soziale Tatsache mit langer Vorgeschichte. Zu dieser Vorgeschichte gehörte auch die Erosion des Vertrauens in den demokratischen Staat. Daß der «Legitimitätsglaube», Max Weber zufolge die wichtigste immaterielle Herrschaftsressource, in Weimar von Anfang an schwach war, hatte Gründe, die mit der Geburt der Republik aus der Niederlage im Ersten Weltkrieg zusammenhingen und zugleich weit hinter diesen Krieg zurückreichten. Wenn es eine Ursache «letzter Instanz» für den Zusammenbruch der ersten deutschen Demokratie gibt, liegt sie in der historischen Verschleppung der Freiheitsfrage im 19. Jahrhundert – oder, anders gewendet, in der Ungleichzeitigkeit der politischen Modernisierung Deutschlands: der frühen Demokratisierung des Wahlrechts und der späten Parlamentarisierung des Regierungssystems. In diesem Widerspruchlag der tiefere Grund für den Erfolg, den Hitler seit 1930 mit seiner pseudodemokratischen Agitation gegen das halbautoritäre Präsidialsystem hatte.
    In der Absicht, den

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