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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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besser – Eroberung neuen Lebensraumes im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung.»[ 31 ]
Wetterleuchten in Fernost:
Die Besetzung der Mandschurei durch Japan
    In einem anderen Teil der Welt hatte ein Lebensraumkrieg, der in den Zweiten Weltkrieg münden sollte, um diese Zeit bereits begonnen: in Ostasien. Es war der Krieg, mit dem Japan seit 1931 seine Einflußsphäre auf dem Festland ausweiten wollte. Vieles an der politischen Entwicklung, die das fernöstliche Kaiserreich nach 1918 einschlug, wies Parallelen zu europäischen Staaten auf. Japan gehörte zu den Siegermächten des Ersten Weltkrieges, fühlte sich aber, ähnlich wie Italien, um die Früchte seines Kampfes betrogen. Es hatte auf Drängen seiner westlichen Verbündeten 1921 die ehemalige deutsche Kolonie Kiautschou an China zurückgegeben, sich gegenüber China zu einer «Politik der offenen Tür» verpflichtet und im Washingtoner Flottenabkommen vom Februar 1922 in eine Beschränkung seiner Flottenstärke eingewilligt. Für die nationalistische Rechte waren die entsprechenden Verträge ein wichtiger Grund, Stimmung gegen den Westen zu machen, dem man eine Politik des Rassendünkels vorwarf.
    Tatsächlich verhielten sich vor allem die Vereinigten Staaten in der Zwischenkriegszeit Japan gegenüber in einer Weise, die diese Einschätzung stützte. Zusammen mit Großbritannien verhinderten die USA auf der Pariser Friedenskonferenz 1919 die Aufnahme des von Japan geforderten Verbots rassischer Diskriminierung in die Satzung des Völkerbundes. 1921 führte Kalifornien getrennte Schulen für Weiße und Asiaten ein. 1922 verbot der Supreme Court die Verleihung der amerikanischen Staatsbürgerschaft an Japaner. 1924 schob ein Bundesgesetz der (zuvor schon beschränkten) Einwanderung von Japanern einen Riegel vor. Amerikas unverhohlener Rassismus war Wasser auf die Mühlen der japanischen Nationalisten. Ähnlich wie für die deutsche Rechte der Weimarer Republik wurde der «Westen» für die radikale japanische Rechte zu einem propagandistisch gepflegten Feindbild.
    Japan hatte seit der Meiji-Restauration von 1868 einen in Asien einzigartigen Modernisierungsprozeß durchlaufen. Technisch und industriell waren Großbritannien und die USA seine Vorbilder gewesen, in politischer und verfassungsrechtlicher Hinsicht aber Preußen-Deutschland. Wie das deutsche Kaiserreich war das Kaiserreich Japaneine konstitutionelle Monarchie. 1919 wurde das Wahlrecht zum Unterhaus des Parlaments auf alle männlichen Steuerzahler ausgeweitet; im März 1925 erfolgte der Übergang zum allgemeinen gleichen Wahlrecht für Männer, die das 25. Lebensjahr vollendet hatten. Eine Woche später verabschiedete das Unterhaus ein Gesetz zur Wahrung der öffentlichen Ordnung, das sich gegen kommunistische, anarchistische und internationalistische Strömungen richtete, der polizeilichen Bekämpfung der Linken also Tür und Tor öffnete. Tatsächlich spielten sozialistische und kommunistische Parteien in den zwanziger Jahren so gut wie keine Rolle. Die «Reisunruhen», die Japan 1918 erschütterten, waren nicht politisch motiviert, sondern reine Hungerrebellionen; sie hatten keine anhaltende Mobilisierung von Arbeitern, Bauern und landwirtschaftlichen Pächtern zur Folge.
    Die beiden maßgeblichen Parteien, die ältere Seiyukai und die jüngere Minseito, bezeichneten sich als liberal, waren aber Gruppierungen der Rechten. Sie unterhielten enge Beziehungen zu den großen Industriekonzernen, den «zaibatsu», verfügten aber über keinen organisierten Massenrückhalt. Seit dem Ersten Weltkrieg vollzog sich in Japan eine de-facto-Parlamentarisierung, auch wenn manche Regierungen eher den Charakter von Beamtenkabinetten hatten. Der wirtschaftliche Aufschwung verbürgte bis Ende der zwanziger Jahre eine relative politische Stabilität: Der Produktionsindex stieg, wenn man den Durchschnitt der Jahre 1910 bis 1914 als Basis nimmt und gleich hundert setzt, auf 313 im Durchschnitt der Jahre 1925 bis 1929. Der Wert der Importe wuchs vom Indexjahr 1913 auf 199 Punkte im Jahr 1929; der Wert der Exporte stieg in der gleichen Zeit auf 205 Punkte.
    Der Parlamentarismus wurde eine Zeitlang praktiziert, von der japanischen Gesellschaft aber nicht wirklich akzeptiert. Die tieferen Gründe der verbreiteten Abneigung gegenüber dieser westlichen Errungenschaft sieht der britische Historiker W. G. Beasley in den «Ideen und Institutionen, die das japanische Volk vom Streben nach individuellen Freiheiten

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