Geschichte des Westens
mit den Parteien die politische Lage zu klären und die vorhandenen Möglichkeiten festzustellen. Aufs höchste alarmiert, wiesen die geschäftsführenden Präsidiumsmitglieder des Reichsverbandes der Deutschen Industrie und des Deutschen Industrie- und Handelstages, Ludwig Kastl und Eduard Hamm, Staatssekretär Meissner auf die Gefahren hin, die der deutschen Wirtschaft aus der politischen Krise zu erwachsen drohten. Die Gewerkschaften aller Richtungen warnten den Reichspräsidenten, die «Berufung einer sozialreaktionären und arbeiterfeindlichen Regierung» würde von der gesamten deutschen Arbeitnehmerschaft als Herausforderung empfunden werden.
Was Papen anstrebte, blieb der Öffentlichkeit zunächst verborgen: ein Kabinett Hitler, in dem er selbst, Papen, Vizekanzler mit besonderen Rechten werden sollte. Mehrere Mitglieder der bisherigen Regierung, darunter Außenminister von Neurath und Finanzminister Graf Schwerin von Krosigk, erklärten sich bereit, einem solchen Kabinett anzugehören. Als Hindenburg das am Abend des 28. Januar von Papen erfuhr, war er beeindruckt und zeigte sich erstmals bereit, seine Bedenken gegen einen Reichskanzler Hitler fallen zu lassen. Die größten Schwierigkeiten hatte Papen mit den Deutschnationalen, unter denen es nach wie vor entschiedene Gegner einer Kanzlerschaft Hitlers gab. Hugenberg hatte starke Vorbehalte gegen die nationalsozialistische Forderung nach Neuwahlen, sah aber eine große Verlockung darin, daß Hindenburg bereit war, ihm, dem Führer der Deutschnationalen, die Ämter des Wirtschafts- und des Ernährungsministers sowohl im Reich als auch in Preußen zu übertragen.
Auf der nationalsozialistischen Seite mußte Hitler sich damit abfinden, daß nicht er, sondern Papen Reichskommissar für Preußen wurde. Als Ausgleich erhielt Reichstagspräsident Göring das Amt des Stellvertretenden Reichskommissars, der für den Bereich des preußischen Innenministeriums zuständig war und damit über die preußische Polizei verfügte. In Personalunion wurde Göring Reichsminister ohne Geschäftsbereich und Reichskommissar für den Luftverkehr. Das Reichsministerium des Innern übernahm Wilhelm Frick. Dem Kabinett gehörten also nur drei Nationalsozialisten an. Die Konservativen, denen auch Arbeitsminister Franz Seldte, der Erste Bundesführer des Stahlhelm, zuzurechnen war, hatten numerisch eindeutig das Übergewicht.
Ein
Mitglied des Kabinetts suchte Hindenburg selbst aus: Er bestimmte den Wehrkreisbefehlshaber für Ostpreußen, General von Blomberg, der sich am 29. Januar noch als technischer Berater der deutschen Delegation bei der Abrüstungskonferenz in Genf aufhielt, zum Nachfolger Schleichers als Reichswehrminister. Gerüchte über Putschabsichten der Potsdamer Garnison (die sich als unbegründet erweisen sollten) veranlaßten Hindenburg, Blomberg am Morgen des 30. Januar, unmittelbar nach seiner Ankunft in Berlin, als Reichswehrminister zu vereidigen. Da der Reichspräsident Reichsminister nur auf Vorschlag des Reichskanzlers ernennen durfte, dieser selbst aber noch gar nicht ernannt war, beging Hindenburg damit einen Verfassungsbruch.
Ob der Reichspräsident die nationalsozialistische Forderung nach Auflösung des Reichstags und Neuwahlen erfüllen würde, blieb lange offen. Hitler begründete dieses Verlangen vor allem damit, daß es in dem am 6. November 1932 gewählten Reichstag keine Mehrheit für das von ihm für unabdingbar gehaltene Ermächtigungsgesetz gebe. Papen scheint am 29. Januar eine Eventualzusage Hindenburgs für den Fall erreicht zu haben, daß es nicht gelang, das Zentrum und die Bayerische Volkspartei für eine wie auch immer geartete Unterstützung der neuen Regierung zu gewinnen. Hitler fiel es nicht schwer, Gespräche mit den beiden katholischen Parteien anzukündigen. Nachdem zuletzt auch Hugenberg in der Neuwahlfrage nachgegeben hatte, konnten am späten Vormittag des 30. Januar 1933 Hitler und die Mitglieder seines Kabinetts vom Reichspräsidenten auf die Weimarer Reichsverfassung vereidigt werden. Hindenburg schloß die kurze Zeremonie mit den Worten: «Und nun, meine Herren, vorwärts mit Gott!»
Irgendwelchen Widerstand gegen die Berufung der neuen Reichsregierung gab es nicht. In den Tagen vor dem 30. Januar hatten Meldungen über ein «Putschkabinett» Papen-Hugenberg in der Öffentlichkeit, bei den Unternehmerverbänden, den Gewerkschaften, Mittelparteien und selbst bei der SPD mehr Beunruhigung ausgelöst als die
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