Geschichte des Westens
abgehalten und zur Verfolgung kollektiver Ziele geführt hatten: dem prägenden Druck des Erziehungssystems; einer Staatsreligion mit dem Kaiser als Mittelpunkt; der allgemeinen Wehrpflcht und der damit verbundenen Indoktrination; der Fortdauer autoritärer Traditionen in wichtigen Bereichen des Beamtenapparates und des familiären Lebens». Das Parlament galt als unjapanisch, weil es den Ruf nach Volksrechten und freier Entfaltung der Individuen fördere.In der Meiji-Ära war alles, was man vom Westen übernommen hatte, als Preis von Wohlstand und Stärke betrachtet worden. «Zudem war es damals gelungen, wesentliche Bestandteile der japanischen Überlieferung erfolgreich zu verteidigen: das kaiserliche System, die konfuzianische Ethik, die Samuraitradition im öffentlichen Dienst. In den zwanziger Jahren schien es zunehmend so, als ob auch all das in Gefahr gerate und das Japanertum selbst zum Opfer der Modernisierung zu werden drohe.»
Bereits im Jahr 1919 hatte ein Autor, den man in Deutschland der «Konservativen Revolution» zugerechnet hätte, Kita Ikki, in einem Buch über den Wiederaufbau Japans auf der einen Seite einschneidende soziale Veränderungen, darunter die Verstaatlichung der Großindustrie, die Konfiskation großer Vermögen und eine Landreform gefordert und auf der anderen Seite sich für einen Staatsstreich der Militärs zum Zweck einer expansionistischen Außenpolitik auf dem asiatischen Festland und einer wirksamen Verteidigung asiatischer Interessen gegenüber dem Westen ausgesprochen. Ähnlich wie Enrico Corradini, der Gründer der Associazione Nazionalista Italiana, begründete Kita Ikki sein imperialistisches Plädoyer mit dem Argument, daß Japan zu den proletarischen Nationen gehöre, den Klassenkampf also auf der internationalen Ebene führen müsse.
Über die zusammen mit Okawa Shumei 1921 gegründete Gesellschaft für die Bewahrung des nationalen Wesens (Yuzonsha) beeinflußte Kita Ikki das Denken maßgeblicher Militärs und militärfreundlicher Clubs. Zwei Parolen spielten in der japanischen Erscheinungsform von «Konservativer Revolution» eine Schlüsselrolle: der «Kaiserliche Weg» oder «Kodo» und die «Showa-Restauration» oder «Showa Ishiu». (Showa Tenno war der Titel des jungen Kaisers Hirohito, der 1926 auf den Thron gelangte.) «Fraktion des Kaiserlichen Weges» oder «Kodo» nannte sich die von den Ideen Kita Ikkis geprägte Offiziersgruppe. Eine andere Vereinigung, die «Kontroll-Fraktion» oder «Tosei», gab sich im Unterschied zu «Kodo» nicht sozialistisch, sondern unternehmerfreundlich. Ihr Ziel war es, Japan durch ein dichtes Netz von Staatskontrollen auf einen totalen Krieg vorzubereiten. In der Absicht der territorialen Expansion waren sich «Kodo» und «Tosei» einig.
Die ersten Wahlen, bei denen das Unterhaus nach dem allgemeinen gleichen Männerwahlrecht gewählt wurde, fanden Anfang 1928 statt. Sie erbrachten eine äußerst knappe Mehrheit für die Seiyukai. An dieSpitze der Regierung trat General Tanaka Giichi. Im Juni 1928 ermordeten japanische Offiziere in der Mandschurei, deren südlicher Teil seit 1905 eine japanische Einflußsphäre bildete, den dortigen chinesischen Warlord Tschang Tso-lin. Obwohl Tanaka im allgemeinen eine harte Linie gegenüber China vertrat, drängte er auf eine disziplinarische Untersuchung des Vorfalls und geriet darüber in einen Konflikt mit dem Generalstab. Im Juli 1929 mußte der Premierminister unter dem Druck der Armee zurücktreten. Sein Nachfolger wurde Hamaguchi Yuko, der Vorsitzende der Minseito.
Unter Hamaguchi willigte Japan im April 1930 in das Londoner Flottenabkommen ein, das dem Kaiserreich weiterhin Rüstungsbeschränkungen auferlegte. Der 1921 in Washington vereinbarte Schlüssel, wonach das Verhältnis der größeren Kriegsschiffe der USA, Großbritannien und Japans eines von 5:5:3 sein sollte, wurde nun auf kleinere Kriegsschiffe ausgedehnt, während das Kräfteverhältnis zwischen der amerikanischen und der japanischen Flotte insgesamt zugunsten des Kaiserreichs auf 5:3,5 angehoben wurde. Im Kabinett stimmten alle Minister, auch der für die Marine, dieser Regelung zu. Der Oberbefehlshaber der Marine aber legte, unterstützt von den ultranationalistischen Organisationen, sein Veto ein und begründete dies damit, daß die Regierung durch den Vertragsabschluß den in der Verfassung von 1889 festgelegten kaiserlichen Oberbefehl mißachtet habe. Kaiser Hirohito stellte sich auf die Seite der Regierung
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