Geschichte des Westens
machten aber deutlich, in welcher Tradition sich Coughlin selber sah. Einen «Faschisten» konnte man ihn, was die Jahre 1934/35 angeht, nicht nennen. Falls er schon damals mit den faschistischen Regimen Europas sympathisierte, ließ er das in seinen Reden und Verlautbarungen nicht erkennen.
Auch im äußersten Westen der USA, in Kalifornien, regte sich im zweiten Amtsjahr Roosevelts Protest gegen «Washington». Im Januar 1934 rief der damals siebenundsechzigjährige promovierte Mediziner Francis Townsend zusammen mit einem Grundstücksmakler, Robert Clements, eine Bewegung zur Reform der Altersrenten, die Old AgeRevolving Pensions Limited, ins Leben. Ihre zentrale Forderung war eine Altersrente von 200 Dollar im Monat, die alle über 60 Jahre alten Bürger erhalten sollten, wenn sie sich aus jeder Art von Erwerbstätigkeit zurückzogen und sich verpflichteten, den gewährten Betrag innerhalb eines Monats in den USA auszugeben. Finanziert werden sollte die Rente über eine zweiprozentige Steuer auf Geschäftstransaktionen. Der Ertrag war in einen «revolving fund» genannten nationalen Rentenfonds einzuzahlen. Townsend und seine Mitstreiter glaubten, auf diese Weise die Massenarbeitslosigkeit überwinden zu können: Junge Erwerbslose sollten die frei gewordenen Arbeitsplätze der Älteren besetzen und diese die Konjunktur durch einen Nachfrageschub beleben. Offenbar sahen viele Amerikaner der älteren Generation im «Townsend-Plan», ungeachtet aller rasch laut gewordenen Expertenkritik, einen Ausweg aus ihren materiellen Nöten: Ende 1934 gab es bereits 1200 Clubs, die sich zur Idee des «revolving fund» bekannten, die meisten von ihnen im Westen der USA.
Kein Protest gegen die Regierung, wohl aber gegen die Konzerne waren die großen und vielfach gewaltsam verlaufenen Streikaktionen von 1934. Milwaukee erlebte Ausschreitungen anläßlich eines Ausstands der Straßenbahner; in Philadelphia und New York gab es Taxifahrerstreiks, in Des Moines einen Streik der Arbeiter der Elektrizitätswerke, in Kalifornien und im südlichen New Jersey Landarbeiterstreiks. Besonders blutig verliefen ein Streik der Lastkraftwagenfahrer in Minneapolis im Mai, bei dem zwei von den Unternehmern bezahlte Streikbrecher ums Leben kamen, und ein Generalstreik in San Francisco im Juli, bei dem zwei Streikende getötet wurden. Am Labor Day, dem ersten Montag im September, der seit 1894 ein gesetzlicher Feiertag war, begann ein Ausstand der Textilarbeiter, der sich zum bislang größten Streik in der Geschichte der USA entwickelte. In Rhode Island wurden bei einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Streikenden und Miliz 50 Arbeiter verwundet, in Honea Path im südlichen Kalifornien sechs Arbeiter von bezahlten Streikbrechern getötet. Fast alle Arbeitskämpfe endeten mit Niederlagen der Arbeiter. Bei vielen Aktionen gehörten Sozialisten, Kommunisten oder Trotzkisten zu den treibenden Kräften. Von einer revolutionären Bewegung zur Abschaffung des kapitalistischen Wirtschaftssystems aber konnte 1934 keine Rede sein: Der Masse der Arbeiter ging es ausschließlich um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.
Wirtschaftlich gesehen war 1934 noch immer ein Depressionsjahr. Die Zahl der Arbeitslosen lag bei 11,3 Millionen; das waren etwa 1,5 Millionen weniger als 1933, als die Erwerbslosigkeit ihren absoluten Höhepunkt erreicht hatte. Bezogen auf die erwerbstätige Bevölkerung war der Anteil der Arbeitslosen zwischen 1933 und 1934 von 24,9 auf 21,7 Prozent gesunken. Das Nationaleinkommen lag 1934 um ein Viertel über dem des Vorjahres, erreichte aber nur etwas mehr als die Hälfte des Standes von 1929. Als Erfolgsbilanz konnte die Regierung Roosevelt solche Daten nicht deuten, aber sie eigneten sich noch weniger als Argumente gegen den New Deal.
1934 war das Jahr der Halbzeitwahlen. Von den außerparlamentarischen Bewegungen drohte der Regierung keine Gefahr, da sie sich noch nirgendwo parteiförmig organisiert hatten. Die Republikaner hatten bisher noch keine überzeugende Antwort auf den New Deal gefunden. Gewöhnlich gewann bei den Zwischenwahlen die jeweilige Oppositionspartei Sitze hinzu. Diesmal war alles anders. Die Republikaner eroberten im neuen Repräsentantenhaus 13 Abgeordnete weniger als im alten und erzielten damit prozentual ihr schlechtestes Ergebnis überhaupt. Im Senat, der zu einem Drittel neu zu wählen war, waren die Verluste der «Grand Old Party» noch dramatischer. Die Demokraten erreichten hier eine
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