Geschichte des Westens
binnen weniger Wochen die Bekennende Kirche (BK), der sich bis Ende 1933 etwa ein Drittel der evangelischen Pfarrer anschloß.
Die Bekennende Kirche verstand sich nicht als politische Opposition. Sie tat dies auch nicht, als sie im Mai 1934 auf der Barmer Bekenntnissynode den von den «DC» beherrschten Kirchenleitungen den Gehorsam aufkündigte. Die «BK» wandte sich lediglich gegen die Politisierung des Evangeliums, gegen politischen Zwang innerhalb der Kirche und gegen den von den Deutschen Christen geforderten Arierparagraphen, der darauf abzielte, Judenchristen aus allen kirchlichen Ämtern zu entfernen. Eine Kampfansage gegen die allgemeine Politik der nationalsozialistischen Führung aber bedeutete das ebensowenigwie eine Solidarisierung mit den Juden, die nicht zum Christentum übergetreten waren.
Aus der Sicht der Deutschen Christen war allerdings auch dieser begrenzte Widerstand politisch, weil er dem Anspruch des Nationalsozialismus auf den ganzen Menschen widersprach. Hitler sah das im Prinzip nicht anders, aber er war auch «Realpolitiker». Als solchen erschienen ihm andere Ziele vordringlicher als die Eroberung der evangelischen Kirche von innen. Die unerwartete Stärke der Gegenkräfte veranlaßte ihn im Herbst 1934 zu einer Art «Frontbegradigung». Bischöfe, die von den «DC» abgesetzt worden waren, konnten in ihre Ämter zurückkehren. Der «Reichsbischof» behielt seinen Titel, hatte aber keinen tatsächlichen Einfluß mehr auf die Kirche.
Der Kampf um die weltanschauliche Gewinnung von Protestanten und Katholiken wurde nach dem Abbruch des Kirchenkampfes von «außen» und gegen die Kirchen fortgesetzt. Die Leitung übernahm der Schriftleiter des «Völkischen Beobachters», Alfred Rosenberg, seit Januar 1934 offiziell der «Beauftragte des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP». Rosenberg galt frommen Lutheranern und gläubigen Katholiken gleichermaßen als
der
Vertreter des nationalsozialistischen «Neuheidentums»; sein Buch «Der Mythus des 20. Jahrhunderts» wurde im Februar 1934 durch päpstliches Dekret auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Hitler selbst war es am wichtigsten, daß die Jugend dem Einfluß der Kirche und kirchlich gebundener Elternhäuser entzogen wurde. Auf diesem Gebiet war der Kirchenkampf
kein
Fehlschlag: Ende 1933 wurden die 1,2 Millionen Mitglieder der evangelischen Jugendbünde der Hitler-Jugend eingegliedert. Ihre Erziehung zu Nationalsozialisten konnte beginnen.
Daß Hitler sich aus dem Kirchenkampf zurückgezogen hatte, kam seinem Ansehen in kirchlichen Kreisen und besonders im konservativen Bildungsbürgertum zugute. Dessen wichtigste Bannerträger waren nach wie vor die Universitätsprofessoren. Nach der Entfernung ihrer jüdischen und linken Kollegen brauchten sie weder ihre Lehre noch ihre Forschung grundlegend zu ändern: Wer vor 1933 «national» gewesen war, blieb unbehelligt, solange er auf Kritik am Nationalsozialismus und an der Führung des Reiches verzichtete. Den Professoren wurde auch kein Bekenntnis zum Antisemitismus abverlangt. Dennoch taten viele freiwillig, was vor 1933 vom Katheder aus noch nichtüblich gewesen war: Sie machten aus ihrer Abneigung gegen die Juden keinen Hehl mehr.
Ähnlich wie in den beiden Kirchen war es auch im Lehrkörper der Universitäten die junge Generation, aus der sich das Gros der überzeugten Nationalsozialisten rekrutierte. Viele der jüngeren Dozenten waren durch die «bündische» Jugendbewegung und die Ideen der «Konservativen Revolution» geprägt. Wer von dort kam, mußte nicht Nationalsozialist werden. Aber nachdem der Nationalsozialismus an der Macht war, bedurfte es starker Überzeugungen, um sich ihm nicht anzuschließen. Nur eine Minderheit der jungen Akademiker verfügte 1933 über solche geistigen und moralischen Ressourcen.
Was von der Wissenschaft galt, traf auch für alle Bereiche der Kultur zu. Die Vertreibung der Juden und Linken aller Schattierungen ging mit zunehmender Selbstgleichschaltung einher. Im September 1933 konnte Goebbels die Reichskulturkammer errichten: eine Mammutbehörde, unter deren Dach die «Kulturschaffenden» aller Sparten in zahlreichen für sie zuständigen Spezialkammern organisatorisch und damit politisch und weltanschaulich erfaßt wurden. Die Mitgliedschaft in einer Kammer, sei es für Schrifttum, Presse, Rundfunk, Theater, Musik oder bildende Künste, war erforderlich, um weiter am deutschen Kulturleben
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