Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
Z uerst sah ich nur den schwarzen Hund. Stolz und unnahbar lief Negrita durch den Sand, ich konnte die Augen kaum von ihr lassen. Und als ich ihr so nachsah, traf mein Blick irgendwann ihn. Dann erst merkte ich, dass ich nicht allein war: Alle Frauen am Strand schauten diesem großen, kantigen Griechen und seiner belgischen Schäferhündin nach. Er war so dürr und wirkte trotzdem stark. Sein blondes Haar wuchs wild um seinen Kopf herum. Er trug nur dunkle Shorts und braune, alte Ledersandalen. Die Touristinnen schien er gar nicht zu bemerken. Er lebte hier am Strand, geheimnisvoll, in einem hohlen Baum.
Logaras und Golden Beach auf der griechischen Insel Paros sind wunderschöne weitläufige Sandstrände östlich vom Hafen Parikias. Der Sand ist weiß, das Wasser türkis, und wenn der Himmel klar ist, und das war er damals fast immer, kann man aus der Ferne die Fähren beobachten, die auf der Nachbarinsel Naxos ein- und auslaufen. Naxos gehört wie Paros zu den Kykladen und ist die Insel, auf der Ariadne vergessen wurde, nachdem sie dem schönen Theseus geholfen hatte, den Minotaurus zu töten.
Ich habe mich später in meinem Leben oft in dieser Mythologie wiedergefunden – blind vor Liebe den Versprechen eines Mannes zu vertrauen, um dann doch allein zurückgelassen zu werden.
Ich hatte mein Zelt an einer Taverne am Pounda Beach, einem kleinen Ort bei Logaras, aufgeschlagen. Inhaber des Lokals war ein alter, griechischer Kommunist, der sogar aussah wie Karl Marx – mit langem grauem Bart und Mähne. Er hatte eine Frau aus Hamburg geheiratet und einen echten Berliner Kellner eingestellt. Es ging wunderbar locker zu, man konnte seine Getränke anschreiben, und den ganzen Tag über lief Musik. Jeder Gast durfte mal seine Kassette in den kleinen Recorder an der Bar einlegen, und so hörten wir den ganzen Tag Bob Marley, die Rolling Stones und die Allman Brothers – alles, was man 1987 in Erinnerung an die guten alten Zeiten so hörte. Meine Zeit auf Paros war Entspannung pur, nur der schöne Grieche am Strand trieb den Puls nach oben.
Einen Freund mit Hund wollte ich schon immer haben. Ich hatte immer einen Hund, und die meisten meiner Freunde mochten das gar nicht. Die schwarze Langhaarhündin mit den kleinen Ohren und der große Kerl mit dem kleinen Rucksack haben es mir gleich angetan. Als sie an meinem Zelt vorbeigingen, sagte ich „Hallo“. Etwas anderes fiel mir wohl nicht ein. Er blieb stehen und sah mich ausdruckslos an. Aber Negrita schnüffelte an mir und fand Zutrauen. Wenig später stieg ich mit den beiden in den hohlen Baum, wo er mir am nächsten Morgen erklärte: „Flüchtige Urlaubsaffären sind nicht meine Sache.“ Da vergaß ich mein Rückflugticket nach Berlin. Er hieß Panagiotis.
Eigentlich war ich mit Gode Benedix, meinem Freund, nach Griechenland gekommen. Von ihm war ich kurz zuvor schwanger geworden. Das hatte mich völlig überrascht, und als ich Gode davon erzählte und ihn fragte, was ich denn nun machen solle, sagte er nur: „Das musst du wissen.“ Da war klar, dass er sich nicht kümmern würde. Also trieb ich ab, denn ich habe mir das damals allein nicht zugetraut.
Ich war damals 25, er auch. Später habe ich die Abtreibungen bereut, aber wenn ein Mann sagt: „Das musst du wissen“, dann weißt du doch, was Sache ist.
Gode hatte ich im Dschungel kennengelernt. Das war diese irre Disko in Berlin-Schöneberg, die so mega angesagt war, bis sich Anfang der Neunziger, nach der Wende, die Techno-Szene in Berlin breitmachte. Es hieß damals, der Dschungel sei das Berliner Pendant zum Studio 54 in New York. Vor dem Eingang schlotterten im Winter oft Dutzende vor sich hin und hofften, dass sie reingelassen werden. Für mich war das kein Problem, die meisten Türsteher kannten mich. Iggy Pop feierte oft im Dschungel, auch Carlos Santana, Romy Haag und David Bowie, den ich damals, als Vierzehnjährige, so vergöttert hatte.
Natürlich kam Bowie nicht so oft wie ich, denn inzwischen lebte er nicht mehr in Berlin, sondern in New York. Aber wenn er Konzerte in der Stadt hatte, ließ er sich danach auch noch im Dschungel blicken. Wir kannten uns, aber wir hielten leider immer nur Smalltalk, mehr schien irgendwie nicht möglich. Ich konnte nicht gut Englisch und hatte ein bisschen Angst, dass er mich nicht mögen könnte.
Kürzlich, zu seinem 66. Geburtstag, hat Bowie sogar ein Lied über Berlin und den Dschungel rausgebracht: „Where Are We Now?“, heißt der Song. Und ich
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