Geschichte des Westens
paramilitärischen Organisation der Deutschnationalen Front (wie sich die DNVP seit Mitte Mai nannte), mit der abenteuerlich klingenden Begründung an, sie seien durch kommunistische und andere staatsfeindliche Elemente unterwandert worden. Hugenberg, der einige Tage zuvor auf der Weltwirtschaftskonferenz in London ein deutsches Kolonialreich in Afrika gefordert und damit den Unwillen Hitlers erregt hatte, erklärte daraufhin am 27. Juni seinen Rücktritt von sämtlichen Ministerämtern im Reich und in Preußen. Die Selbstauflösung der Deutschnationalen Front vollzog sich am gleichen Tag in Gestalt eines «Freundschaftsabkommens» mit der NSDAP, das den deutschnationalen Mandatsträgern die Aufnahme in die nationalsozialistischen Fraktionen zusicherte. Der deutsche Konservativismus verlor damit seinen politischen Arm durch Kapitulation vor der revolutionären Bewegung, die zu zähmen er sich vorgenommen hatte.
In den folgenden Tagen lösten sich die beiden liberalen Parteien, die Deutsche Staatspartei und die Deutsche Volkspartei, auf. Über das Ende des politischen Katholizismus wurde in Rom entschieden – während der Verhandlungen über ein Konkordat, die Vizekanzler von Papen seit April 1933 führte, wobei der (seit Anfang Mai nur noch nominelle) Zentrumsvorsitzende Kaas als päpstlicher Hausprälat auf kirchlicher Seite eine wichtige Rolle spielte. Gegen die Zusicherung eines kirchlichen Entfaltungsspielraums gab die Kurie die politischen, sozialen und berufsständischen Organisationen des deutschen Katholizismus preis. Am 5. Juli, drei Tage vor der Paraphierung des Konkordats, löste sich das Zentrum auf. Die Bayerische Volkspartei hatte denselben Schritt schon am Tag zuvor getan.
Am 14. Juli 1933 – dem 144. Jahrestag des Sturms auf die Bastille –erließ die Regierung Hitler ein Gesetz, wonach in Deutschland nur noch eine einzige politische Partei bestand, die NSDAP, und jeder mit Gefängnis- oder Zuchthausstrafen bedroht wurde, der es unternahm, «den organisatorischen Zusammenhalt einer anderen politischen Partei aufrechtzuerhalten oder eine neue politische Partei zu bilden». Weniger als ein halbes Jahr hatten die Nationalsozialisten benötigt, um sich als Monopolpartei durchzusetzen. Noch gab es andere Teilhaber der Macht wie die Reichswehr, das hohe Beamtentum und die Großindustrie. Aber im Prozeß der «Machtergreifung», der am Tag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler begonnen hatte, war die Ausschaltung der anderen Parteien eine wichtige Zäsur.[ 3 ]
Um Popularität zu gewinnen, mußte die Regierung Hitler vor allem eines vorweisen können: rasch sichtbare Erfolge in der «Arbeitsschlacht», dem Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit. Pläne zur Arbeitsbeschaffung mußten nicht erst neu entwickelt werden: Die vorangegangenen Kabinette, vor allem das des Generals von Schleicher, hatten das meiste von dem geplant, was die Nationalsozialisten nun in die Tat umsetzten. Dazu gehörte ein Sofortprogramm mit 500 Millionen Reichsmark als Reichsgarantie für die mit der Arbeitsbeschaffung betrauten Stellen und die Vorfinanzierung der öffentlichen Maßnahmen mit Hilfe von prolongierbaren, vom Reich garantierten und von der Reichsbank mit einer Rediskontzusage versehenen Wechseln. Im Vordergrund stand wie bei Schleicher zunächst die Förderung der ländlichen Siedlung durch Bodenverbesserung. Auf die Zeit der Weimarer Republik ging auch das Projekt von Reichsautobahnen zurück, das von den Nationalsozialisten propagandistisch überhöht wurde und von Anfang an auch einem militärischen Zweck, der raschen Verlagerung von Truppen, dienen sollte. Für den Abbau der Arbeitslosigkeit spielten die Autobahnen hingegen nur eine geringe Rolle: Ende Juni 1934 waren in ganz Deutschland nicht mehr als 38.000 Arbeiter in diesem Bereich beschäftigt. In der Summe trugen die von der Regierung Hitler verfügten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen dazu bei, daß die Arbeitslosigkeit im Winter 1933/34 nicht wesentlich über die Vier-Millionen-Marke stieg, auf die sie im September 1933 gefallen war.
Erschwert wurde die wirtschaftliche Erholung Deutschlands durch die Abwertung des Dollars, die Präsident Roosevelt im April 1933 durch die Preisgabe des Goldstandards herbeiführte. Die deutscheHandelsbilanz stürzte daraufhin ins Defizit ab, die Devisenbestände der Reichsbank schmolzen dahin. Am 8. Juni 1933 beschloß die Reichsregierung ein einseitiges Moratorium für alle privaten Auslandsschulden (soweit sie
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