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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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teilnehmen zu können. Der Erfassung der Erwünschten entsprach die Ausgrenzung der Unerwünschten. Sie waren mittlerweile nicht nur aus den Akademien verdrängt, sondern verloren auch, soweit sie sich ins Ausland begeben und von dort aus Kritik an den Zuständen in Deutschland geübt hatten, am 23. August 1933 die deutsche Staatsbürgerschaft. Ihr Vermögen wurde eingezogen. Betroffen waren, neben zahlreichen Politikern der Linken, der Theaterkritiker Alfred Kerr, der Schriftsteller Lion Feuchtwanger und die Publizisten Kurt Tucholsky und Leopold Schwarzschild.
    Den absoluten Gegenpol zur urbanen Intelligenz, die im Herbst 1933 zu einem großen Teil bereits aus Deutschland vertrieben worden war, bildete, den nationalsozialistischen Ideologen zufolge, das bodenständige Bauerntum. Dieses zu erhalten und zu festigen war der Zweck des Reichserbhofgesetzes vom 29. September 1933. Es trug die Handschrift des maßgeblichen Vertreters des Mythos von «Blut und Boden», des Führers des Reichsnährstands und Reichsernährungsministers Richard Walther Darré. Das Gesetz galt für etwa ein Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe – weder die ganz großen noch die ganz kleinen,sondern für die mittleren bäuerlichen Familienbetriebe. Der Hoferbe, in der Regel der jüngste Sohn, mußte Bauer werden; sein Besitz war nur noch bedingt hypothekarisch belastbar und durfte nicht mehr, wie etwa im Südwesten Deutschlands üblich, zwischen den Familienmitgliedern aufgeteilt werden.
    Eine verstärkte Landflucht war die unausweichliche Folge. Diese widersprach zwar den agrarromantischen Parolen der NSDAP, diente aber einem übergeordneten Ziel der Führung. Die neue industrielle Reservearmee lieferte Arbeitskräfte für die Rüstungsindustrie, bei der die Löhne sehr viel höher waren als in der Landwirtschaft. Dem dadurch hervorgerufenen Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften sollte der (1931 eingeführte) Freiwillige Arbeitsdienst abhelfen – die Vorstufe des paramilitärisch geprägten Reichsarbeitsdienstes, in dem, im Prinzip jedenfalls, vom Juni 1935 ab alle Deutschen, Männer wie Frauen, zwischen 18 und 25 Jahren ein halbes Jahr lang Dienst tun mußten. Der Arbeitsdienst wiederum bot die Gelegenheit, ein Versprechen einzulösen, das Hitler in seiner Rede vom 1. Mai 1933 gegeben hatte: Auch Kopfarbeiter mußten mindestens einmal in ihrem Leben körperliche Arbeit kennenlernen.
    Die psychologische Aufwertung der Arbeit war das Gegenstück zur tatsächlichen Entrechtung der Arbeiter. Am 20. Januar 1934 erließ die Reichsregierung das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit, die «Magna Charta» der Betriebsverfassung im «Dritten Reich». Das Gesetz übertrug dem «Führer des Betriebs» die Aufgabe, für das Wohl der «Gefolgschaft» zu sorgen und ihr gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten zu entscheiden. Dem Betriebsführer trat ein Vertrauensrat mit beratender Kompetenz zur Seite. Er wurde in einer Listenwahl gewählt, wobei der Betriebsführer und der Obmann der Deutschen Arbeitsfront sich im Voraus über die Kandidaten verständigten. Mit den Betriebsräten der Weimarer Republik hatten die Vertrauensräte nichts mehr gemeinsam. Die Nutznießer der Neuordnung waren die Unternehmer, die sich wieder als «Herren im Hause» fühlen konnten – sofern sie nicht mit der DAF in Konflikt gerieten. Von Opposition gegen das Regime bei den Arbeitern war dennoch wenig zu spüren. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit (sie sank zwischen Dezember 1933 und November 1934 von 4,1 auf 2,3 Millionen) wurde vielfach dem «Dritten Reich» und seinem «Führer» zugute gehalten. Für den Verlust an politischer und gewerkschaftlicherFreiheit gab es eine Entschädigung: Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes begann zu schwinden.
    Das galt auch für die meisten weiblichen Arbeitskräfte. Die Nationalsozialisten hatten zwar vor dem 30. Januar 1933 dem «Doppelverdienertum» den Kampf angesagt und taten dies auch danach – doch nur in Worten. Auf die Praxis hatte die Devise, die Frau gehöre ins Heim und an den Herd, habe sich, mit anderen Worten, vorrangig Mann und Kindern zu widmen, kaum Auswirkungen. Die Erwerbsarbeit verheirateter Frauen ging im «Dritten Reich» nicht nur nicht zurück, sondern stieg an. Lediglich Beamtinnen in leitender Stellung, also Akademikerinnen, wurden systematisch aus dem Berufsleben verdrängt. Außerdem senkte das Regime, gestützt auf das Reichsgesetz gegen die Überfüllung von

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