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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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deutschen Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933, den Anteil der Studentinnen an der Gesamtheit der Studierenden bis zum historischen Tiefststand von 11,2 Prozent im Sommer 1939. Was Deutschland an rechtlicher und tatsächlicher Gleichstellung der Frauen erreicht hatte, wurde nach 1933 weitgehend rückgängig gemacht. Der Nationalsozialismus
war
radikal antiemanzipatorisch: ein Befund, der sich ganz und gar nicht mit der These mancher Historiker und Soziologen verträgt, das «Dritte Reich» habe, gleichviel ob gewollt oder ungewollt, zu einer umfassenden Modernisierung der deutschen Gesellschaft beigetragen.
    Die «Volksgemeinschaft» der Nationalsozialisten begann ein Jahr nach der «Machtergreifung» festere Konturen anzunehmen. Die «Volksgemeinschaft» wollte die Unterschiede im Bewußtsein von Protestanten und Katholiken, Stadt- und Landbewohnern, «Arbeitern der Stirn und der Faust» einebnen; sie war männlich dominiert, in Ständen, Kammern und in der Deutschen Arbeitsfront erfaßt und dem «Führerprinzip» unterworfen. Der Unternehmer hatte sich in den Betriebsführer, die Belegschaft in die Gefolgschaft verwandelt; an die Stelle von gewählten Vertretern landwirtschaftlicher Organisationen waren die vom Reichsnährstand ernannten Orts- und Kreisbauernführer getreten; an den Universitäten fiel dem vom Kultusministerium ernannten Rektor die Rolle des Führers zu; bei Zeitungen und Zeitschriften übernahm auf Grund eines Gesetzes vom 4. Oktober 1933 der Schriftleiter die Verantwortung für alle Äußerungen seiner Mitarbeiter. Und es gab die riesige Zahl kleiner und mittlerer Führer der NSDAP vom Blockwart über den Zellenleiter, den Ortsgruppenleiterund den Kreisleiter bis zum Gauleiter, wozu noch die Funktionäre der Gliederungen und angeschlossenen Verbände der Partei, der NS-Frauenschaft etwa, der NS-Volkswohlfahrt und des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps, kamen. Sie alle waren vom Willen des
einen
Führers abhängig – und konnten sich doch gleichzeitig als Teilhaber seiner Herrschaft fühlen.
    Wenn sich jemand kritisch über die Führung oder gar über Hitler selbst äußerte, mußte er mit Denunziationen und, je nach der Schwere des Falls, mit der Einlieferung in ein Konzentrationslager rechnen. Um die Deutschen zu kontrollieren, war das Regime nicht ausschließlich auf die bezahlten Spitzel und vergleichsweise wenigen Beamten der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) angewiesen. Die Nationalsozialisten konnten sich vielmehr auf unzählige «Volksgenossinnen» und «Volksgenossen» verlassen, die dem «Führer» zu helfen glaubten, wenn sie vermeintliche «Volksschädlinge» den Behörden meldeten.
    Bereits im ersten Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft war der Glaube an Hitler und seine geschichtliche Sendung zur wichtigsten Klammer der «Volksgemeinschaft» geworden. Der Führermythos
durfte
seine Wirkung nicht verlieren, weil das «Dritte Reich» ohne ihn nicht denkbar war. Auf dieser durchaus zutreffenden Einsicht beruhte die tagtägliche, von Goebbels koordinierte Propaganda, der sich auf die Dauer kaum ein Deutscher zu entziehen vermochte.[ 4 ]
    Bedroht wurde die Herrschaft Hitlers ein Jahr nach seiner Ernennung zum Reichskanzler nicht durch irgendwelche Untergrundaktivitäten verbotener Parteien wie der Kommunisten oder der Sozialdemokraten, sondern aus dem Innern der nationalsozialistischen Bewegung heraus: von der SA. Bereits im Juni 1933 hatte ihr Stabschef Ernst Röhm in einem Artikel in den «Nationalsozialistischen Monatsheften» in ultimativer Form die Forderung erhoben, endlich von der «nationalen» zur «nationalsozialistischen Revolution» überzugehen. Der SA gehörten, seit ihr im Juli 1933 der Stahlhelm angegliedert worden war, mindestens 1,5 Millionen Mitglieder an. Röhm aber fühlte sich nach wie vor als Sprecher der «alten Kämpfer», die es als ihr Verdienst betrachteten, daß Hitler am 30. Januar 1933 an die Spitze der Reichsregierung getreten war. Sie waren unzufrieden mit dem, was sich bisher in Deutschland geändert hatte, und verlangten eine «zweite Revolution»,die sie, die «braunen Bataillone», an die Schalthebel von Staat und Gesellschaft bringen sollte.
    Hitler hingegen wußte sehr wohl, daß seine langfristigen Ziele nicht gegen Reichswehr, Beamtenschaft und Unternehmertum durchzusetzen waren. Am 6. Juli 1933 beantwortete er vor den in Berlin versammelten Reichsstatthaltern Röhms Herausforderung mit der Feststellung, daß die

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