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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Revolution kein permanenter Zustand sei, sondern in das sichere Bett der Evolution übergeleitet werden müsse. «Die Partei ist jetzt der Staat geworden. Alle Macht liegt bei der Reichsgewalt. Es muß verhindert werden, daß das Schwergewicht des deutschen Lebens wieder in einzelne Gebiete oder gar Organisationen verlagert wird.»
    Die öffentliche Belehrung des Stabschefs der SA blieb ebenso wirkungslos wie seine Ernennung zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich am 4. Dezember 1933 – eine Maßnahme, von der Hitler sich eine Zähmung der SA erhoffte. Röhm forderte nunmehr, daß die SA auch bei der «Wiederwehrhaftmachung» Deutschlands die Schlüsselrolle spielen und den Kern einer künftigen Miliz bilden sollte. Am 1. Februar 1934 sandte er Reichswehrminister von Blomberg ein Memorandum, in dem die Reichswehr auf die Funktion eines reinen Ausbildungsheeres herabgedrückt wurde. Röhms Absicht war klar: Reichswehr und SA sollten einen militärischen Rollentausch vornehmen.
    Dem Reichswehrminister fiel es leicht, Hitler auf die Seite des regulären Militärs zu ziehen. Vor den Spitzen von Reichswehr, SA und SS erteilte der Reichskanzler am 28. Februar den Milizplänen Röhms eine klare Absage. Er sei entschlossen, sagte er, «ein Volksheer, aufgebaut auf der Reichswehr, gründlich ausgebildet und mit den modernsten Waffen ausgerüstet, aufzustellen». Diese neue Armee müsse nach fünf Jahren für jede Verteidigung, nach acht Jahren auch für den Angriff geeignet sein. Von der SA verlangte Hitler, daß sie sich seinen Anweisungen füge. Für die Übergangszeit werde sie für Aufgaben des Grenzschutzes und der vormilitärischen Ausbildung herangezogen werden. Im übrigen müsse die Wehrmacht der einzige Waffenträger der Nation sein. Die Reichwehr honorierte Hitlers Entgegenkommen mit einem Erlaß vom 28. Februar 1934: Darin verpflichtete Blomberg die Wehrmacht zur Anwendung des Arierparagraphen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums.
    Röhm stellte in den folgenden Wochen die neuen Richtlinien seines Führers nach außen nicht in Frage. Aber die Reden des Stabschefs,darunter eine vor dem Diplomatischen Korps am 18. April, blieben so «revolutionär» wie eh und je, und die Zwischenfälle zwischen SA und Reichswehr mehrten sich. In der Bevölkerung bereitete sich erstmals seit dem Beginn der Kanzlerschaft Hitlers der Eindruck von Führungsschwäche aus – eine Mißstimmung, gegen die Goebbels im Mai 1934 mit einer Kampagne gegen «Miesmacher und Kritikaster» anzugehen versuchte. Die fortdauernde Unruhe veranlaßte konservative Kreise in der Umgebung des Vizekanzlers Franz von Papen, auf eine Klärung der Machtfrage in ihrem Sinn hinzuarbeiten. Ein geeignetes Mittel hierzu erschien ihnen die Wiederherstellung der Monarchie nach dem Tod Hindenburgs – einem Ereignis, mit dem für die nächste Zukunft gerechnet werden mußte, da sich der Gesundheitszustand des greisen Staatsoberhaupts im Frühjahr 1934 deutlich verschlechtert hatte.
    Am 17. Juni 1934 hielt Papen an der Universität Marburg eine Rede, die das Signal zur konservativen Sammlung gegen die radikalen Kräfte im Nationalsozialismus bilden sollte. Den Text hatte einer der engsten Mitarbeiter des Vizekanzlers, der jungkonservative Publizist Edgar Jung, verfaßt. Jung ließ Papen ein Bekenntnis zu Menschlichkeit, Freiheit und Gleichheit vor dem Richter ablegen – Werten, die keine liberalen, sondern germanisch-christliche Begriffe seien. Die Kampfansage an die Vertreter der Parole von der zweiten Revolution war unüberhörbar. «Kein Volk kann sich den ewigen Aufstand von unten leisten, wenn es vor der Geschichte bestehen will. Einmal muß die Bewegung zu Ende kommen, einmal ein festes soziales Gefüge, zusammengehalten durch eine unbeeinflußbare Rechtspflege und durch eine unbestrittene Staatsgewalt, entstehen. Deutschland darf nicht ein Zug ins Blaue werden, von dem niemand weiß, wann er zum Halten kommt …»
    Papen erhielt für seine Rede überwältigenden Beifall der Zuhörer, und das Echo in Deutschland wäre wohl nicht minder stark gewesen, wenn Goebbels nicht sofort die Verbreitung der Ansprache in Rundfunk und Presse untersagt hätte. Edgar Jung wurde am 25. Juni von der Gestapo verhaftet. Hitler aber hatte mittlerweile begriffen, daß er sich in einem innenpolitischen Zweifrontenkampf befand und seine einzige Chance darin lag, beide Gegner, Röhms «revolutionäre SA» und die monarchistische «Reaktion»,

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