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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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zuwiderlief und überdies dem Ermächtigungsgesetz widersprach, das die Rechte des Reichspräsidenten ausdrücklich unberührt gelassen hatte. Und nicht nur das: In der gleichen Kabinettssitzung kündigte Reichsminister von Blomberg an, daß er unmittelbar nach dem Ableben Hindenburgs die Soldaten der Wehrmacht auf den «Führer und Reichskanzler» vereidigen werde.
    Am 2. August 1934 mußten die Soldaten die neue, durch kein Gesetz gedeckte Eidesformel nachsprechen, die keinerlei Verpflichtung auf Volk, Vaterland und Verfassung enthielt, sondern nur die Bindung an
einen
Mann vorsah: «Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.»
    Hitlers persönliche Machtfülle hatte am 2. August 1934 ein Ausmaß erreicht, wie es das seit der Zeit des Absolutismus in Deutschland nicht mehr gegeben hatte. Der Prozeß der Machtergreifung war, institutionell gesehen, abgeschlossen. Was noch ausstand, war die Akklamation des Volkes. Am 19. August 1934, vier Tage nach der Veröffentlichungvon Hindenburgs Testament, hatten die Deutschen Gelegenheit, über das Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches vom 1. August zu befinden. Wie nicht anders zu erwarten, sprach sich eine große Mehrheit für das Gesetz aus. 89,9 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen waren Ja-Stimmen. Das bedeutete eine Zustimmung von 84,3 Prozent der Stimmberechtigten.
    Auf den ersten Blick war das Ergebnis ein überwältigender Erfolg. Ein Vergleich mit der Volksabstimmung vom 12. November 1933 aber wirkte ernüchternd. Die Zahl derer, die sich dem Regime durch Nichtteilnahme verweigerten, war gewachsen, die Zahl der Zustimmenden gesunken: von 89,9 auf 84,3 Prozent der Stimmberechtigten. Besonders hoch lag der Anteil der Nein-Stimmen in den großstädtischen Stimmkreisen Hamburg (20,4 Prozent), Aachen (18,6 Prozent) und Berlin (18,5 Prozent). In der Reichshauptstadt meldeten sämtliche Bezirke zweistellige Nein-Quoten, wobei der ehedem «rote» Wedding mit 19,7 Prozent an der Spitze lag.
    Offenkundig war der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund sehr viel populärer als die Zusammenlegung der beiden wichtigsten Staatsämter. Hitlers Prestige wurde durch die Bekundung des Mißtrauens einer Minderheit nicht ernsthaft beeinträchtigt. Gemessen an den eigenen Erwartungen, war der Ausgang des zweiten Plebiszits jedoch jener «Mißerfolg», von dem Goebbels am 22. August in einem Tagebucheintrag sprach.
    In der zeitweilig rückläufigen Popularität des Regimes spiegelten sich nicht zuletzt wirtschaftliche Faktoren. Ungeachtet massiver Ausfuhrsubventionen bekam die Bevölkerung 1934 den Rückgang des deutschen Außenhandels, zu erheblichen Teilen eine Folge des internationalen, aber auch des deutschen Protektionismus, zu spüren. Der Versuch, den faktischen Zusammenbruch des Handels mit den USA und Großbritannien durch eine Umorientierung des deutschen Außenhandels in den Donauraum nach Südosteuropa, aber auch nach Lateinamerika auszugleichen, zeitigte erst allmählich Erfolge. Am 14. Juni 1934 verkündete Reichsbankpräsident Schacht ein vollständiges Moratorium der Auslandsschulden und die Einführung von Devisenzuteilungen auf Tagesbasis. Gestapoberichten zufolge waren die Deutschen wegen der Wirtschaftsprobleme, die aus der Devisenkrise herrührten, stärker beunruhigt als durch die sogenannte «Röhm- Revolte».
    Von Staatsaufträgen profitierte seit 1934 vor allem die Rüstungsindustrie: Militärausgaben machten schon im zweiten Jahr des «Dritten Reiches» über die Hälfte aller Staatsausgaben für Waren und Dienstleistungen aus: Der Anteil des Militärbereichs am Wachstum des Bruttoinlandsprodukts steigerte sich zwischen 1933 und 1934 um mehr als das Zehnfache: von 4,2 auf 47 Prozent. Auf
diesen
Sektor, nicht auf zivile Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, gingen 1934 die sinkenden Arbeitslosenzahlen zum größten Teil zurück. Wenn die Löhne gegenüber dem Tiefststand von 1929 geringfügig stiegen, dann allein wegen der längeren Arbeitszeiten. Der hohe Anteil der Nein-Stimmen beim Plebiszit vom 19. August in den Arbeiterbezirken von Großstädten kam also nicht von ungefähr.
    Von einer breiten proletarischen Opposition gegen den Nationalsozialismus konnte im Sommer 1934 aber keine Rede sein. Die

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