Geschichte des Westens
gleichzeitig zu schlagen. Hätte er sich nur gegen den Kreis um Papen und damit gegen die alten Eliten gewandt, wäre das ein für Hitler äußerst gefährlicher Triumph der SAgewesen. Wenn er nur gegen die SA vorging, mußte das seine «bürgerlichen» Verbündeten stärken, was er auch nicht wollen konnte. Die Marburger Rede Papens gab ihm nun den Anlaß zu einer Überraschungsaktion nach zwei Seiten und die Möglichkeit, die innenpolitische Krise radikal zu lösen.
Die Ereignisse von Ende Juni und Anfang Juli 1934 haben sich den Zeitgenossen und der Nachwelt als «Röhm-Revolte» (dies die nationalsozialistische Bezeichnung) oder als «Röhm-Putsch» eingeprägt. Tatsächlich hat es einen Putsch oder eine Revolte des Stabschefs der SA
nicht
gegeben. Röhm hatte, nach einem längeren Gespräch mit Hitler, Anfang Juni eine Kur angetreten und für den Juli einen allgemeinen «Urlaub» der SA verfügt. Das erleichterte es Hitler sehr, im Zusammenspiel mit der Reichswehr und der SS, die formell immer noch der SA angegliedert war, zum großen Schlag gegen seinen langjährigen Freund und Kampfgefährten auszuholen. Am 30. Juni wurden Röhm und andere SA-Führer im bayerischen Bad Wiessee unter persönlicher Beteiligung Hitlers verhaftet, anschließend in das Gefängnis München-Stadelheim verbracht und dort, mit Ausnahme Röhms, ohne irgendein Gerichtsverfahren noch am gleichen Tag erschossen. Den abgesetzten Stabschef der SA ließ Hitler am 1. Juli erschießen.
SA-Führer waren nicht die einzigen Opfer des angeblichen «Röhm-Putsches». Hitler, Göring und die SS unter ihrem «Reichsführer» Heinrich Himmler nutzten die Gelegenheit zur Liquidation von politischen Gegnern aus unterschiedlichen Lagern. Ermordet wurden am 30. Juni der ehemalige bayerische Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr, der Papen nahestehende Vorsitzende der Katholischen Aktion, Ministerialdirektor Erich Klausener, Papens Mitarbeiter Herbert von Bose und Edgar Jung, der frühere Reichsorganisationsleiter der NSDAP, Gregor Strasser, der ehemalige Reichskanzler General Kurt von Schleicher und sein Mitarbeiter General Ferdinand von Bredow. Seinem Amtvorgänger Schleicher warf Hitler nachträglich Hoch- und Landesverrat in Zusammenspiel mit Röhm, dem General von Bredow außenpolitische Hilfsdienste für Schleicher vor – beides haltlose Unterstellungen. Gesichert ist dagegen die Zahl der namentlich bekannten Menschen, die während der Mordaktion ums Leben kamen: 85, davon 50 Angehörige der SA.
Neben der SA-Führung hatte Hitler sich am 30. Juni also auch mißliebiger Konservativer entledigt. Papen, die zeitweilige, alles in allemeher passive Galionsfigur der Fronde, kam glimpflich davon: Er wurde von Göring zwei Tage lang unter Hausarrest gestellt, erhielt dann aber wenig später von Hitler die erbetene persönliche Ehrenerklärung. Am 7. August schied er aus dem Amt des Vizekanzlers aus und übernahm auf Ersuchen Hitlers die Aufgabe eines deutschen Sonderbotschafters in Wien: Dort hatten am 25. Juli mit Billigung des «Führers» die österreichischen Nationalsozialisten geputscht und dabei, entgegen der Planung, Bundeskanzler Engelbert Dollfuß erschossen. Der Umsturzversuch wurde zwar rasch niedergeschlagen, löste aber eine internationale Krise aus: Mussolini, mit dem Hitler kurz zuvor, Mitte Juni, in Venedig erstmals zusammengetroffen war, ließ, um Deutschland vor einem Anschluß Österreichs zu warnen, italienische Truppen am Brenner aufmarschieren. Papens Mission bestand darin, in Wien an der Wiederherstellung des deutschen Ansehens zu arbeiten. Eine Wiederholung von Zwischenfällen wie seiner Marburger Rede war damit nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen.
Am 3. Juli 1934 beschloß die Reichsregierung ein rückwirkendes Gesetz, wonach die zur «Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe» am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen als «Staatsnotwehr» rechtens waren. Am 13. Juli rechtfertigte Hitler sein Vorgehen vor dem Reichstag: «Wenn mir jemand den Vorwurf entgegenhält, weshalb wir nicht die ordentlichen Gerichte zur Aburteilung herangezogen hätten, dann kann ich ihm nur sagen: In dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes oberster Gerichtsherr!»
Dem Staatsrechtler Carl Schmitt, seit November 1933 Reichsgruppenleiter der Fachgruppe Hochschullehrer im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen, blieb es
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