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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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dem Expansionsdrang einer Diktatur geopfert worden. Damit sandten die Westmächte ein Zeichen der Ermutigung für Nachahmungstäter aus.»
    Der Krieg in Äthiopien, von dem die italienische Presse nur berichtete, was das Regime verbreitet sehen wollte, erfreute sich der Unterstützung nicht nur der eingeschworenen Faschisten, sondern aller «national» gesinnten Italiener. Die Revanche für die Niederlage, die die Italiener vier Jahrzehnte zuvor in Adua erlitten hatten, brachte den «Duce» auf den Gipfel seiner persönlichen Popularität und dem Faschismus eine breitere Zustimmung als je zuvor. Wenige Stunden nach dem Fall von Addis Abeba rief Mussolini am 5. Mai 1936 vom Balkon des Palazzo Venezia vor einer jubelnden Menge den «römischen Frieden» aus. «Äthiopien ist italienisch! Italienisch der Sache nach, weil es von unserer siegreichen Armee besetzt ist, italienisch von Rechts wegen, weil es mit dem römischen Schwert zugleich die Zivilisation ist, die über die Barbarei triumphiert, die Gerechtigkeit, die über grausame Willkür triumphiert, die Befreiung der Elenden, die über eine Jahrtausende alte Sklaverei triumphiert.» Vier Tage später, am 9. Mai, proklamierte der «Duce» in einer weiteren, von den Massen frenetisch gefeierten Rede das neue römische Reich, das «Impero». «Das italienische Volk hat mit seinem Blut das Imperium geschaffen. Es wird es mitseiner Arbeit befruchten und gegen jedermann mit seinen Waffen verteidigen. In dieser höchsten Gewißheit, o ihr Legionäre, hebt die Zeichen, Schwerter und Herzen in die Höhe, um nach 15 Jahrhunderten das Imperium auf den schicksalhaften Hügeln Roms zu begrüßen.»
    König Viktor Emanuel III. führte seit dem 9. Mai 1936 den Titel eines «Kaisers von Äthiopien»; Italien war fortan nach Großbritannien und Frankreich die drittgrößte Kolonialmacht. Der Prestigegewinn, den der gewonnene Krieg abwarf, ging einher mit einem Vormarsch des Rassismus in Italien. Er nahm seinen Ausgang im Gefühl der Überlegenheit (superiorità) gegenüber den dunkelhäutigen Afrikanern, mit denen es keinerlei Rassenmischung geben durfte. Schon bald aber wurde daraus ein Kult der rassischen Reinheit, der zur Ausgrenzung auch der «ebrei», der italienischen Juden, und damit zu einer Annäherung an den Antisemitismus der Nationalsozialisten führte.
    Die Realität von «Africa Italiana Orientale», der durch die Legge organice vom 1. Juni 1936 geschaffenen, aus Äthiopien, Eritrea und Somalia bestehenden, von einem italienischen Vizekönig regierten Großkolonie, stand in scharfem Kontrast zum hohen Ton der faschistischen Propaganda. Zwischen 1935 und 1940 beanspruchte das Gebiet mehr als 20 Prozent des gesamten italienischen Staatshaushalts. Nur rund 300.000 italienische Siedler fanden dort eine immer wieder bedrohte und oft eher karge Heimstatt. Der anhaltende Widerstand der Äthiopier nahm rasch die Form des Guerillakrieges an und rief immer neue Wellen brutaler Repression seitens der Kolonialmacht hervor. Das Motto der Vergeltungsaktionen gab Mussolini am 8. Juli 1936 in einer Weisung an den Vizekönig, General Graziani, vor: Der oberste Vertreter Italiens in Äthiopien wurde aufgefordert, «systematisch mit einer Politik des Terrors und der Ausrottung gegen die Rebellen und die Bevölkerung, die mit diesen unter einer Decke steckt, zu beginnen und eine solche zu führen. Ohne das Gesetz der Vergeltung 1 zu 10 kann man der Plage nicht in der nötigen Zeit Herr werden.»
    Der Vizekönig tat, was Rom von ihm erwartete. Als am 19. Februar 1937 zwei Intellektuelle aus Eritrea ein Bombenattentat auf ihn verübten, bei dem er selbst durch Splitter verletzt und sieben Menschen getötet wurden, entfesselte Graziani eine pogromartige Gewaltorgie, an der sich neben faschistischen Milizionären auch viele Mitglieder der italienischen Kolonie beteiligten. Innerhalb von drei Tagen wurden etwa 3000 unbeteiligte Menschen umgebracht. Im Mai erfolgte alsweitere Repressalie ein Schlag gegen die mittelalterliche Klosterstadt Debre Libanòs, deren Geistliche pauschal einer Mitschuld an dem Anschlag verdächtigt wurden. Zwischen 1000 und 2000 Mönche, Diakone und Klosterbesucher kamen dabei ums Leben.
    Dem Chauvinismus, der sich während des Abessinienkrieges breitmachte, zollten Bischöfe, Kardinäle und Intellektuelle wie der Dichter Luigi Pirandello, aber auch einige liberale und linke Antifaschisten, unter ihnen der Philosoph Benedetto Croce, der Journalist Luigi

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