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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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sich den «Demokratischen Interventionisten» zumindest taktisch an, als er, auf Drängen des Generalstabs und gegen den Willen von Außenminister Sonnino mit den Südslawen zu kooperieren begann, was eine gewisse Zurückhaltung im Hinblick auf die italienischen Forderungen nach Ausdehnung auf der Ostseite der Adria verlangte. Der halboffizielle «Patto di Roma», verabschiedet auf einem «Kongreß der unterdrückten Völker» im April 1918, trug dieser neuen Linie Rechnung. Ein Widerruf der entsprechenden Teile des Londoner Geheimvertrages mit der Entente, der im November 1917 von der Sowjetregierung publik gemacht worden war, fand aber bis zum Kriegsende nicht statt.
    Unter den Emigranten aus der Habsburgermonarchie, die sich für die Unabhängigkeit ihrer Länder einsetzten, stand keiner den Ideen Wilsons so nahe wie der tschechische Philosoph Tomáš Masaryk, der 1850 in Mähren geborene Sohn eines slowakischen Kutschers und einer deutsch-mährischen Bauerntochter, der von 1900 bis 1914 als Abgeordneter der von ihm gegründeten «Realistischen Partei» dem österreichischen Reichsrat angehört hatte. An den Vierzehn Punkten aber störte ihn wie seinen Mitarbeiter Edvard Beneš, daß Wilson, schon um Österreich-Ungarn nicht noch enger an die Seite Deutschlands zu drängen, ebenso wie Lloyd George (und wie dieser wohl auchim Hinblick auf einen möglichen «Sonderfrieden» mit Wien) darauf verzichtet hatte, die Auflösung der Donaumonarchie zu fordern. In dieser Hinsicht waren Ministerpräsident Clemenceau und sein Außenminister Stéphen Pichon bessere Verbündete: Beide Politiker ließen keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie die bedingungslose Kapitulation und damit das Ende Österreich-Ungarns anstrebten. Sie wurden 1918 in dem Sinn aktiv, den Masaryk wünschte: der Förderung nationaler Unabhängigkeitsbestrebungen im Habsburgerreich.
    Masaryk und Beneš konnten in diesen Kampf etwas einbringen. Beide hatten 1916 in Paris mit Zustimmung der französischen Regierung den Tschechoslowakischen Nationalrat gegründet, der auf eine gemeinsame Staatlichkeit von Tschechen und Slowaken hinarbeitete – ein Ziel, auf das sich tschechische und slowakische Exilorganisationen erstmals im Oktober 1915 in Cleveland, Ohio, und dann erneut, in verbindlicherer Form, Mitte Mai 1918 im Vertrag von Pittsburgh einigten, in dem Masaryk den Slowaken weitgehende Autonomie zusicherte. Nach der Februarrevolution ging Masaryk nach Rußland, wo er die Tschechoslowakische Legion, eine Truppe von Kriegsgefangenen und Deserteuren aus dem österreichisch-ungarischen Heer, zu einer Befreiungsarmee umorganisierte, die auf der französischen Seite der Westfront eingesetzt werden sollte. Um dorthin zu gelangen, mußte sie, da der direkte Weg durch die Staatsgebiete der Mittelmächte versperrt war, einen großen Umweg durch Sibirien bis nach Wladiwostok in Kauf nehmen, wo am 5. April 1918 japanische Truppen gelandet waren.
    Die Sowjetregierung hatte den Plan zunächst gebilligt, zog aber nach mehreren Zwischenfällen ihre Zustimmung zurück. Der Befehl Trotzkis, die inzwischen auf mindestens 40.000 Mann angewachsene Legion zu entwaffnen, ließ sich nicht ausführen, da diese massiven Widerstand leistete. Binnen weniger Wochen gelang es ihr, ein großes Gebiet an der mittleren Wolga, die Gegend um Ufa im südlichen Ural, einen Teil des südwestlichen Sibirien und einen Großteil der Strecke der Transsibirischen Eisenbahn bis in die Nähe von Irkutsk unter ihre Kontrolle zu bringen. Das war nur möglich durch das Zusammenwirken mit russischen Gegnern der Bolschewiki wie den Sozialrevolutionären des Wolgagebiets. Am 8. Juni 1918, dem Tag, an dem die Legion in Samara einzog, erklärte das dortige Komitee aus sozialrevolutionären Mitgliedern der Konstituante die Regierung der Bolschewiki fürabgesetzt und sich selbst zur Provisorischen Regierung. Die Tschechoslowakische Legion wurde so, anstatt nach Frankreich zu gehen, zu einem aktiven Element des beginnenden russischen Bürgerkrieges. Auf ihr Konto gingen viele Greuel, darunter die Ausplünderung der Zivilbevölkerung und die Ermordung von deutschen und österreichisch-ungarischen Offizieren, die in ihre Hände gefallen waren.
    Im Sommer 1918 schien der Sturz der bolschewistischen Regierung zeitweilig nur noch eine Frage von Tagen zu sein. Anfang Juli entfesselten die Linken Sozialrevolutionäre in Moskau und Mittelrußland einen Aufstand, in dessen Verlauf am 6. Juli der deutsche

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