Geschichte des Westens
sollten die denkbar freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung (the freest opportunity of autonomous development) erhalten. Zu räumen waren die Territorien Rumäniens, Serbiens undMontenegros; Serbien sollte überdies einen garantierten und sicheren Zugang zum Mittelmeer erhalten.
Für die Türken verlangte Wilson eine gesicherte Souveränität, wobei andere Nationalitäten, die jetzt unter türkischer Herrschaft lebten, in den Genuß einer freien und autonomen Entwicklung kommen und die Dardanellen ein allen Nationen offenstehender, international garantierter freier Schiffahrtsweg werden müßten. Zur polnischen Frage hieß es, es sei ein unabhängiger polnischer Staat zu errichten, der die Gebiete mit unstrittig polnischer Bevölkerung umfasse, der einen sicheren, freien Zugang zum Meer habe und dessen Status und territoriale Integrität durch internationale Übereinkunft zu garantieren seien. Schließlich sei ein allgemeiner Völkerbund (a general association of nations) zu schaffen mit dem Zweck, großen und kleinen Staaten gleichermaßen die politische Unabhängigkeit und die territoriale Integrität zu sichern.
Gegen Ende seiner Rede wandte sich Wilson an die Deutschen. Amerika neide Deutschland nicht seine Größe und nicht seine Leistungen; es wolle seinen legitimen Einfluß als Macht nicht schmälern. Die Vereinigten Staaten wünschten Deutschland «weder mit Waffen noch mit feindseligen Handelsregelungen zu bekämpfen, wenn es seinerseits willens ist, sich mit uns und den anderen friedliebenden Nationen der Welt auf der Grundlage der Gerechtigkeit, des Rechts und des fairen Umgangs miteinander vertraglich zu verbinden. Wir wünschen lediglich, daß es einen Platz der Gleichrangigkeit (a place of equality) unter den Völkern der Welt, der neuen Welt, in der wir jetzt leben, einnimmt und nicht einen dominierenden Platz (a place of mastery). Wir maßen uns auch nicht an, Deutschland eine Auswechslung oder Änderung seiner Institutionen anzuraten. Doch es ist, offen gesagt, notwendig, und zwar notwendig im Sinn einer Vorbedingung für vernünftige Verhandlungen zwischen uns und Deutschland, daß wir wissen, für wen seine Vertreter sprechen – für die Mehrheit des Reichstages oder für die Militärpartei und die Männer, deren Credo imperiale Herrschaft ist.» Die Schlußworte des Präsidenten klangen beschwörend: «Der moralische Höhepunkt dieses größten und letzten Krieges für die menschliche Freiheit ist gekommen, und sie (die Vereinigten Staaten, H. A. W.) sind bereit, ihre eigene Stärke, ihr eigenes höchstes Anliegen, ihre eigene Integrität und ihre Hingabe unter Beweis zu stellen.»
Seine Rede vom 2. April 1917, in der er die Parole «to make the world safe for democracy» ausgab, hatte Wilson nur halten können,weil zweieinhalb Wochen zuvor in Rußland das Regime des Zaren gestürzt worden war. Die Vierzehn-Punkte-Rede vom 8. Januar 1918 konnte er in dieser Form nur vortragen, weil das Ereignis des 19. Januar, die Verjagung der frei gewählten Konstituante durch die Bolschewiki, noch nicht stattgefunden hatte. Die lobenden Bemerkungen über die junge russische Demokratie und die sympathische Offenheit ihrer Führer zeugten von geringer Kenntnis dessen, was in Rußland geschah; sie waren diktiert von Wilsons Wunsch, Rußland in einen scharfen Gegensatz zu Deutschland zu bringen. Mochten die Bolschewiki sich auch erfreut zeigen über die Anerkennung aus Washington, so hatten sie doch keine Bedenken, den amerikanischen Präsidenten wenige Tage später durch ihren Gewaltakt bloßzustellen.
Die Illusionen hinsichtlich des neuen Rußland waren aber nicht die einzige anfechtbare Passage der Rede. Einige von Wilsons Punkten gingen großzügig über widerstrebende Realitäten hinweg. Der Präsident war sich schwerlich der Tatsache bewußt, daß das Prinzip der demokratischen Mehrheitsherrschaft, wenn es uneingeschränkt galt, in national gemischten Staaten leicht zur Vergewaltigung von ethnischen Minderheiten führen konnte. Er stellte überdies strategische Forderungen wie die nach dem Meereszugang für Serbien und Polen auf, ohne zu fragen, ob sich dies mit dem Nationalitätenprinzip vereinbaren ließ. Die Ausführungen zu den legitimen Interessen der Kolonialvölker waren schließlich so allgemein gehalten, daß sie die Kolonialmächte (zu denen seit dem spanisch-amerikanischen Krieg 1898 ja auch die USA gehörten) nicht ernsthaft beunruhigen mußten. Wilson war ein Südstaatler aus
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