Geschichte des Westens
scheiterte eine österreichische Offensive bei den Sette Comune auf der Hochebene von Asiago und am Unterlauf des Piave. Besonders bei den nichtdeutschsprachigen Teilen des Heeres häuften sich seitdem die Zersetzungserscheinungen, was mit dazu beitrug, daß Österreich-Ungarn die Deutschen seit August 1918 verstärkt zur raschen Beendigung des Krieges drängte und, als diese Bemühungen nicht zum gewünschten Erfolg führten, auf eigene Faust Präsident Wilson am 14. September in einem Manifest eine allgemeine Friedenskonferenz vorschlug (was dieser sogleich ablehnte). In der zweiten Septemberhälfte brach die bulgarische Armee in Mazedonien unter den Schlägen von Briten, Franzosen, Italienern, Serben und Griechen zusammen; am 30. September wurde ein Waffenstillstand geschlossen, in dem sich das Königreich Bulgarien zur Demobilmachung und zur Räumung aller besetzten serbischen und griechischen Gebiete verpflichtete. (Ein unabhängiges Königreich war Bulgarien seit dem 5. Oktober 1908, an dem sich Fürst Ferdinand I. selbst zum Zaren erklärt hatte.)
Ebenfalls im September erzielten die Briten beim palästinensischen Jaffa einen Durchbruch durch die von türkischen und deutschen Verbänden gehaltene Front. In den folgenden Wochen drangen die Briten unter General Allenby, unterstützt von arabischen Truppen, die Oberst Thomas Edward Lawrence, der legendäre «Lawrence of Arabia», zusammengestellt hatte, bis nach Aleppo, Damaskus und Beirut vor. Dem deutschen Armeekorps gelang es, sich kämpfend nach Anatolien zurückzuziehen. Am 30. Oktober 1918 legte das Osmanische Reich die Waffen nieder. Die Bedingungen der Kapitulation regelte das Waffenstillstandsabkommen, das auf einem Kampfschiff im Hafen von Mudros auf der Insel Lemnos unterzeichnet wurde.
Mehr noch als das Zurückweichen der eigenen Truppen brachten die Niederlagen der Verbündeten General Ludendorff, den «starkenMann» der Obersten Heeresleitung, zu der Einsicht, daß Deutschland den Krieg verloren hatte und darum unverzüglich ein Waffenstillstands- und Friedensangebot an Präsident Wilson richten mußte. Die Verantwortung hierfür sollte aber nicht die OHL, sondern eine neue, von den Mehrheitsparteien des Reichstags getragene Regierung übernehmen. Am 29. September, dem Tag des Waffenstillstands in Bulgarien, trug Ludendorff zusammen mit Hindenburg dem Kaiser die gemeinsame Lagebeurteilung samt den daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen vor. Er begründete den Vorstoß mit einer Dolchstoßlegende. «Ich habe S. M. (Seine Majestät, H. A. W.) gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu danken haben, daß wir soweit gekommen sind», erklärte der Erste Generalquartiermeister am 1. Oktober vor hohen Offizieren. «Wir werden also diese Herren jetzt in die Ministerien einziehen sehen. Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muß. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben.»
In den Mehrheitsparteien des Reichstags, die sich im Juli 1917 zu einem Frieden ohne erzwungene Gebietsabtretungen und politische, wirtschaftliche und finanzielle Vergewaltigungen bekannt hatten, wuchs im Frühherbst 1918 die Bereitschaft, die Verantwortung für die Beendigung des Krieges auf sich zu nehmen. Innerhalb der größten deutschen Partei, der Sozialdemokratie, gab es darüber zwar heftige Debatten, aber bereits am 23. September setzte sich Friedrich Ebert, zusammen mit Philipp Scheidemann einer der beiden Vorsitzenden der SPD, in den Führungsgremien mit der Auffassung durch, daß es «die verdammte Pflicht und Schuldigkeit» der Sozialdemokraten sei, sich mit den bürgerlichen Parteien und der Regierung zu verständigen, weil andernfalls Chaos und Gewaltherrschaft, Terror und Bürgerkrieg wie in Rußland drohten. Die linksliberale Fortschrittliche Volkspartei war derselben Meinung, während im katholischen Zentrum der konservative Parteiflügel noch starke Vorbehalte gegen einen Übergang zum parlamentarischen System, der logischen Konsequenz einer Regierungsbeteiligung, hatte. Erst nachdem sich am 29. September auch die Nationalliberalen für eine volle Parlamentarisierung ausgesprochen hatten, lenkte das Zentrum ein.
Wenn sich Deutschland in eine parlamentarische Demokratie verwandelte, hatte es bessere Aussichten auf milde Friedensbedingungen im Sinne der Vierzehn Punkte von Präsident Wilson, als wenn es beimalten, obrigkeitlich geprägten System
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