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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Ära überlebten den Sieg der Nationalisten nicht. Das galt für die landwirtschaftlichen und industriellen Kollektive, die Säkularisierung des Schulwesens, die volle gesetzliche Gleichberechtigung der Frauen, die Autonomieregelungen für Katalonien und das Baskenland und erst recht natürlich für das personelle Revirement in Verwaltung, Justiz, Polizei und Militär. In ganz Spanien erlangte im April 1939 jenes im März 1938 von der Regierung in Burgos erlassene «Grundgesetz der Arbeit» (Fuero del Trabajo) Gültigkeit, das über das Vorbild der italienischen Carta del lavoro von 1927 noch hinausging und staatlich kontrollierte, einheitliche, «vertikale» Syndikate von Arbeitgebern und Arbeitnehmern schuf. Die «Rangstellen» der nationalen Syndikate mußten mit Kämpfern der einzigen zugelassenen Partei, der Falange, besetzt werden.
    Erst drei Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges, im Juli 1942, erging ein Gesetz über die Bildung der Cortes, wonach diese aus gewählten Mitgliedern und Abgeordneten von Amts wegen bestehen sollten, darunter Ministern, hohen Funktionären der Nationalräte der Falange und des nationalen Syndikats sowie vom Staatschef für besonders würdig befundene Personen. Die Frage der Staatsform blieb zunächst offen. Auch die verfassungsartige «Charta der Spanier» vom Juli 1945 schuf keine Klarheit. Im Juli 1947 wurde Spanien durch Volksentscheid dann zum Königreich erklärt, was aber erst «nach Erledigung des Amtes des Staatsführers» praktische Folgen haben sollte. Es war das Vorrecht des «Caudillo Spaniens und des Kreuzzuges, des Generalissimus der Heere, Don Francisco Franco Bahamonde», den Cortes, wann immer er wollte, die Person vorzuschlagen, die eines Tages seine Nachfolge antreten sollte.
    Spanien war nach dem Bürgerkrieg ein wirtschaftlich weithin ruiniertes Land. Der größte Teil der Produktionsanlagen war zerstört; das Volkseinkommen war 1940 auf den Stand von 1914 zurückgefallen. Die Industrieproduktion war zwischen 1935 und 1939 um 31 Prozent, die Agrarerzeugung um etwa 21 Prozent, das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen um 28,3 Prozent gefallen. Das Land blieb, weil die Sieger entschlossen waren, ihren Sieg voll auszukosten, zutiefst gespalten.Das Regime, das seit dem April 1939 im ganzen Land das Sagen hatte, war autoritär, klerikal und reaktionär; es war eine Militärdiktatur und ein Polizeistaat. Aber totalitär und faschistisch war es nicht. Dazu fehlte ihm die ideologische und soziale Dynamik, die für die Regime Mussolinis und Hitlers charakteristisch war.
    Kein anderer zeitgenössischer Beobachter hat die spezifischen Merkmale Spaniens in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts so prägnant analysiert wie der 1900 in Wien geborene, 1933 aus Deutschland emigrierte ehemalige Kommunist Franz Borkenau, der im Sommer 1936 und im Frühjahr 1937 Spanien bereist hatte und noch im selben Jahr in London sein Buch «The Spanish Cockpit» herausbrachte. Die spanische Rechte war Borkenau zufolge viel zu sehr von Kirche und Armee abhängig, um ein ähnliches Maß von «Modernisierung» im Sinne von mehr Koordination und Effizienz zu erreichen wie die faschistischen Diktaturen. Eine Kraft der Modernisierung war aber auch die spanische Linke nicht. «Die Geschichte des Spanischen Bürgerkrieges, soweit sie das linke Lager betrifft, ist die Geschichte des Widerstandes der Massen gegen zwei Dinge: einerseits gegen die Revolte von Klerus und Armee, andererseits gegen die Notwendigkeit, diesen Krieg mit den modernen Mitteln der Kriegführung und Organisation niederzuschlagen. Die Massen wollten kämpfen, und sie kämpften heroisch, aber sie wollten, daß dieser Krieg nach der alten Guerilla von 1707 und 1808 als eine Erhebung von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt gegen die Bedrohung der Tyrannei ausgetragen wird. Aber das konnte nicht so sein.»
    Die spanische Arbeiterbewegung und die spanische Linke ganz allgemein waren nach Borkenaus Urteil zwar «in der Lage, zu
kämpfen,
waren aber unfähig, einen
effizienten
Kampf zu organisieren», was analog auch für das rechte Lager galt. «Wäre die spanische Revolution nur auf Franco gestoßen, hätte sie wahrscheinlich eine ähnliche Überlegenheit entwickelt, wie sie die Revolutionäre in Frankreich und Großbritannien erreicht hatten. Hier aber traf die Revolution nicht auf ihre eigenen reaktionären Feinde, sondern auf die stärksten Militärmächte der Welt.» Die Republik lieferte sich daher der Gnade jener

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