Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
Speech» in die Geschichtsbücher einging und seitdem oft als Signal einer interventionistischen Wende interpretiert worden ist. «Die friedliebenden Nationen», sagte Roosevelt, «müssen eine konzertierte Anstrengung (a concerted effort) unternehmen angesichts von Vertragsverletzungen und einer Mißachtung menschlicher Instinkte, die heute einen Zustand von internationaler Anarchie und Instabilität schaffen, dem man durch bloße Isolierung und Neutralität nicht entrinnen kann … Wenn sich eine Krankheit epidemisch verbreitet, bejaht und verfügt die Gemeinschaft die Einweisung der Patienten in eine Quarantänestation, um sich vor einer weiteren Ausbreitung der Krankheit zu schützen … Krieg, ob erklärt oder unerklärt, ist eine ansteckende Krankheit … Der Friedenswille seitens der friedliebenden Nationen muß sich so artikulieren, daß Nationen, die versucht sind, ihre Verpflichtungen und die Rechte anderer zu verletzen, von diesem Kurs ablassen. Es bedarf einer positiven Anstrengung, um den Frieden zu bewahren.»
    Tatsächlich markierte die Rede von Chicago keinen Wendepunkt. «Quarantäne» war nach Roosevelts Meinung ein milderes Wort als «Sanktionen». Der Präsident hatte die moralische Position seines Landes nach innen und nach außen deutlich machen wollen; irgendwelche Verpflichtungen ging er damit nicht ein. Als am 12. Dezember 1937 japanische Flugzeuge ein beflaggtes amerikanisches Kanonenboot, die «Panay», die im Jangtsekiang vor Anker lag, mit Bomben bewarfen und aus Maschinengewehren beschossen, wobei zwei Besatzungsmitglieder und ein italienischer Journalist getötet wurden, verzichteten dieUSA angesichts der sofortigen Entschuldigung Tokios auf Vergeltungsmaßnahmen. An eine Kriegserklärung war in Washington ohnehin in keinem Augenblick gedacht worden.
    Als ernste Bedrohung empfanden die USA ein die westliche Hemisphäre betreffendes Element der handelspolitischen Neuorientierung Deutschlands im Zuge von Schachts «Neuem Plan»: die Ausrichtung der deutschen Exporte nach Südamerika, aus dem das Reich seinerseits auf Verrechnungsbasis, also ohne Devisen in Anspruch zu nehmen, immer mehr Rohstoffe importierte. Während die deutsche Gesamtausfuhr im ersten Quartal 1935 gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 2,73 Prozent zurückging, stieg die deutsche Einfuhr aus Südamerika um 17,50 Prozent; bei der Gesamtausfuhr belief sich der Rückgang auf 11,62 Prozent, wohingegen die Ausfuhr nach Südamerika um 18,32 Prozent anwuchs. Zwischen 1932 und 1936 stieg der Anteil Deutschlands an der Gesamteinfuhr Lateinamerikas von 7,3 auf 14 Prozent, verdoppelte sich also beinahe. Die Vereinigten Staaten konnten ihren Anteil in dieser Zeit nur um 0,6 Prozent (von 28,8 auf 29,4 Prozent) erhöhen.
    Die USA versuchten nach Kräften gegenzusteuern. Es gelang ihnen, außer in Argentinien, Brasilien und Chile, den drei größten Volkswirtschaften des Subkontinents, ihren Vorsprung als stärkster Handelspartner zu behaupten. Auf Brasilien, das von Präsident Getúlio Vargas seit 1930 autoritär und seit dessen Staatsstreich im November 1937 auf eine an den «Estado Novo» Salazars in Portugal angelehnte Weise diktatorisch regiert wurde, übte Washington solange Druck aus, bis es auf den Abschluß eines neuen Handelsvertrages mit Deutschland verzichtete (der bisherige aus dem Jahr 1931 war zum Juli 1936 gekündigt worden). Der Erfolg der USA war aber nur ein scheinbarer: Brasilien setzte seinen devisenfreien Warenaustausch mit Deutschland bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs fort.
    Gewaltsame Interventionen in Lateinamerika gab es unter Roosevelt nicht mehr. Sie paßten nicht zum Stil der «good neighborhood», zu der sich der Präsident im März 1933 in seiner Inaugurationsrede bekannt hatte. Die Politik der Nichtintervention bedeutete allerdings auch die Hinnahme und Unterstützung von Diktaturen wie der von Fulgencio Batista, dem von den Amerikanern protegierten Sieger im Bürgerkrieg von 1933, in Kuba, und Rafael Trujillo in der Dominikanischen Republik. Hingenommen wurden auch die linksnationalistische,sozialreformerische und scharf antiklerikale Politik unter Präsident Lázaro Cárdenas in Mexiko nach 1934 und der Wahlsieg einer Volksfrontkoalition aus Radikalen, Sozialisten und Kommunisten 1938 in Chile, die dort bis 1946 an der Macht blieb.
    Auf drei panamerikanischen Konferenzen, die im Dezember 1933 in Montevideo, im November 1936 in Buenos Aires und im Dezember 1938 in Lima

Weitere Kostenlose Bücher