Geschichte des Westens
aufnehmen und damit die bestehende Grenze samt dem Verlust des Gebietes um Wilna anerkennen. Die Regierung in Kaunas sah angesichts der militärischen Überlegenheit Polens keine andere Möglichkeit, als sich der Forderung zu fügen.
Beck schien seinem Ziel, ein «Drittes Europa» in Gestalt eines polnisch geführten ostmitteleuropäischen Staatenblocks zu schaffen, ein gutes Stück näher gekommen zu sein. Verwirklichen konnte er dieses ehrgeizige Vorhaben freilich nur, wenn die deutsch-polnischen Beziehungen so gut blieben, wie sie es im Frühjahr und Sommer 1938 dem äußeren Anschein nach waren. Ob auch Hitler daran ein Interesse hatte, war eine offene Frage. Der Herbst 1938 sollte eine Klärung bringen – allerdings eine andere als die von Warschau erhoffte.[ 13 ]
Roosevelts Realpolitik: Die USA 1936–1938
Appeasement gegenüber den Diktaturen in Berlin und Rom war keine rein europäische Angelegenheit. Auch die Vereinigten Staaten von Amerika waren daran beteiligt. Als sich im Sommer 1935 die Abessinienkrise zuspitzte, wünschte Präsident Roosevelt Sondervollmachten, dieihm die Verhängung von Sanktionen gegenüber dem Aggressor erlauben sollten, hatte damit aber beim überwiegend isolationistisch gestimmten Kongreß keinen Erfolg. Ein Neutralitätsgesetz vom August 1935, das gegen den Willen Roosevelts wie auch von Außenminister Cordell Hull verabschiedet wurde, verbot amerikanischen Schiffen lediglich, kriegführende Staaten mit Kriegsmaterial zu beliefern. Öl und Stahl fielen weder unter das amerikanische Embargo noch unter die Sanktionen des Völkerbundes, und davon profitierten neben dem faschistischen Italien die einschlägigen Industriebranchen der Vereinigten Staaten.
Nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs im Juli 1936 unterstützte die Regierung in Washington die britische Linie der strikten Nichtintervention. Der Präsident ersuchte den Kongreß um ein Verbot der Lieferung von Kriegsmaterial in Länder, die sich im Bürgerkrieg befanden und erhielt dafür im Januar 1937 die Zustimmung von Senat und Repräsentantenhaus. Das Embargo traf die spanische Republik sehr viel härter als die mit Waffen aus Deutschland und Italien gut versorgten Aufständischen. Aus innenpolitischen Gründen war Roosevelt dieser Effekt aber nicht unwillkommen. Innenminister Harold Ickes gegenüber meinte der Präsident, eine Aufhebung des Embargos würde die Demokraten bei den Halbzeitwahlen von 1938 viele katholische Stimmen kosten. Daß die Mehrheit der amerikanischen Katholiken auf Seiten Francos stand, verlor das Weiße Haus nie aus den Augen. Ebenso waren die Interessen großer Unternehmen wie Texaco und General Motors zu bedenken, die die spanischen Nationalisten während des Bürgerkrieges mit großen Mengen von Öl beziehungsweise Lastkraftwagen belieferten.
Die öffentliche Meinung Amerikas war angesichts der Ereignisse in Spanien gespalten. Eine starke Minderheit unterstützte Franco, eine sehr viel schwächere die Republik. Aus den Reihen der letzteren rekrutierten sich die 2000 bis 3000 Freiwilligen, die im Abraham-Lincoln- oder im George-Washington-Bataillon im Rahmen der Internationalen Brigaden auf der Seite der spanischen Republik kämpften. Die große Mehrheit war neutral. Ihrem Willen dürfte ein vom Kongreß im Mai 1937 verabschiedetes Gesetz entsprochen haben, das, ganz im Sinne der Isolationisten, im Kriegsfall ein allgemeines Waffenembargo verhängte und damit dem Ziel der Isolationisten, der permanenten Neutralität, nahe kam. Die Interessen von «big business» kamen aber auch diesmal nicht zu kurz: Eine «cash and carry»-Klausel sah vor, daß,von Kriegsmaterial abgesehen, kriegführende Staaten Waren gegen Barzahlung kaufen und auf eigenen Schiffen aus Amerika abtransportieren konnten. Ein erklärter Isolationist wie Senator William Borah aus Idaho empfand diesen Kompromiß «auf schäbige Weise feige» (sordid cowardly). Die überzeugten Internationalisten, unter ihnen Außenminister Cordell Hull, sahen in dem Gesetz eine Knebelung der amerikanischen Außenpolitik.
Der Präsident, selbst eher ein Internationalist, scheute als «Realpolitiker» Konflikte mit den Isolationisten, weil er ihre Stimmen für seine innenpolitischen Gesetzesvorhaben benötigte. Am 5. Oktober 1937, ein knappes Jahr nach seiner triumphalen Wiederwahl, hielt er, ausgelöst durch den japanischen Angriff auf China, in Chicago, einer traditionellen Hochburg des Isolationismus, eine Rede, die als «Quarantine
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