Geschichte des Westens
Morgenthau der entschiedenste Befürworter eines ausgeglichenen Haushalts und eines Abbaus der Staatsverschuldung. Den Produktionsrückgang führte er ausschließlich auf die fehlende Investitionsneigung der Industrie zurück; höhere Staatsausgaben konnten aus seiner Sicht nur zu Inflation und höheren Steuern führen. Sein energischster Widersacher war neben Innenminister Ickes der Gouverneur des Federal Reserve Board, Marriner Eccles. Er argumentierte, ohne Keynes gelesen zu haben, wie der britische Ökonom: Während der Deflation mußte die Regierung die Investitionsschwäche durch höhere, kreditfinanzierte Ausgaben kompensieren und in Zeiten der Hochkonjunktur entsprechende Rücklagen bilden. Der Präsident bezog in den ersten Monaten der (bald so genannten) «Roosevelt Depression» die Position der Orthodoxen um Morgenthau.
Die Meldungen über die wachsende Not der Unterstützungsempfänger und erste Hungertote konnte er aber nicht ignorieren, ebenso wenig die steigenden Arbeitslosenzahlen: Von 1937 bis 1938 wuchs der Anteil der Erwerbslosen an der erwerbstätigen Bevölkerung von 14,3 auf 19 Prozent, in absoluten Zahlen von 7,7 auf 10,4 Millionen. 1939, zehn Jahre nach dem großen Börsenkrach, belief sich die Zahl der Arbeitslosen noch oder wieder auf 10 Millionen. Ein erneuter Kurssturz an der New Yorker Börse am 25. März 1938 trug entscheidend dazu bei, daß Roosevelt sich nunmehr auf die Seite der Anhänger des «deficit spending» schlug. Am 14. April forderte er vom Kongreß ein großes anleihefinanziertes Hilfsprogramm: Die PWA sollte fast eine Milliarde Dollar erhalten, die wiedererstehende WPA über 1,4 Milliarden; weitere Mittel flossen in den Bau preiswerter Wohnungen, in die landwirtschaftliche Kredithilfe und die Arbeitsvermittlung für jugendliche Arbeitslose.
Ende April 1938 ersuchte der Präsident den Kongreß um die Einsetzung einer Untersuchungskommission, die sich dem Problem der Machtkonzentration in der amerikanischen Wirtschaft widmen sollte, aber nur wenig konkrete Ergebnisse zeitigte. Im Juni verabschiedete der Kongreß den von Roosevelt geforderten Fair Labor Standard Act in einer Fassung, die so viele Ausnahmen zuließ, daß von einer Verbesserung der Lage der Lohnempfänger kaum gesprochen werden konnte. Es war das letzte der Reformgesetze des New Deal und fiel in eine Zeit, in der es erste Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung gab.1938 war ein Jahr der Halbzeitwahlen, in dem das Repräsentantenhaus und ein Drittel der Senatoren neu zu wählen waren. Die Demokraten konnten erneut die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobern, wenn auch nur knapp: Sie erhielten 48,6, die Republikaner 47 Prozent, was für die «Grand Old Party» gegenüber 1936 einen Zuwachs von 7,4 Prozentpunkten bedeutete. Im Senat gewannen die Republikaner 6 Sitze hinzu, die Demokraten behaupteten aber mit 69 Sitzen (gegenüber 23 der Republikaner) ihre Zweidrittelmehrheit. Die Wahlen vom November 1938 waren kein Plebiszit gegen den New Deal, aber sie schwächten die New Dealers. Diese hatten bereits im April 1938 eine schwere Niederlage erlitten, als die Reorganization Bill, die den Präsidenten ermächtigen sollte, Regierungsagenturen zum Zweck der Effizienzsteigerung umzugestalten, vom Repräsentantenhaus mit 204 gegen 196 Stimmen abgelehnt wurde. Seit 1939 wurden die Mittel für Einrichtungen des New Deal gesenkt, einige von ihnen, darunter im Juni 1939 das populäre Federal Theatre Project, abgeschafft.
Anders als die Krise der frühen dreißiger Jahre löste die «Roosevelt Depression» keine neue Radikalisierungswelle aus. Am rechten Rand gab es die extremen Antisemiten, die den New Deal als «Jew Deal» denunzierten – Gruppen wie die Silver Shirts um den Hitler-Verehrer William Dudley Pelley, die Christian Front von Father Coughlin, den von der NSDAP geförderten German-American Bund und die im Mittleren Westen aktive Terrororganisation Black Legion, die aber allesamt Splittergruppen blieben. Links außen gewannen die Kommunisten, seit sie im Zuge der Volksfrontstrategie eine breite antifaschistische Bündnispolitik betrieben und sich als die wahren Erben der Amerikanischen Revolution ausgaben, neue Anhänger hinzu, nicht zuletzt beim CIO, wo sie als tüchtige Organisatoren willkommen waren. Eine Massenbewegung aber wurden die Kommunisten auch in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre nicht.
Das im Mai 1938 vom Repräsentantenhaus eingesetzte House Committee on Un-American
Weitere Kostenlose Bücher