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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Zeit aber noch nicht gefallen. Der im Februar 1939 gegründeten Reichszentrale für jüdische Auswanderung, die Reinhard Heydrich als Chef der Sicherheitspolizei unterstand, gelang es zwar, die Zahl der in Deutschland lebenden Juden um etwa 30.000 zu vermindern. Aber da kein Staat bereit war, die verarmten deutschen Juden aufzunehmen, und Großbritannien wegen der zunehmend achsenfreundlichen Stimmung in der arabischen Welt die jüdische Einwanderung nach Palästina seit Frühjahr 1939 praktisch blockierte, war eine rasche und umfassende Lösung der deutschen «Judenfrage» auf dem Weg der forcierten Auswanderung nicht zu erwarten.
    Am Willen der nationalsozialistischen Führung, sich der deutschen Juden zu entledigen, gab es dennoch keinen Zweifel. Er sei fest entschlossen, «die Juden aus Deutschland herauszubringen», sagte Hitler am 5. Januar 1939 in Berchtesgaden gegenüber dem polnischen Außenminister Józef Beck. «Man würde ihnen jetzt noch gestatten, einenTeil ihres Vermögens mitzunehmen … Je länger sie aber zögerten auszuwandern, desto weniger würden sie mitnehmen können.» Dreieinhalb Wochen später, am 30. Januar 1939, dem sechsten Jahrestag der sogenannten «Machtergreifung», erklärte Hitler im Reichstag, er wolle, wie schon so oft in seinem Leben, wieder ein Prophet sein: «Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.»[ 16 ]
Allianz der Antipoden:
Die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs
    Die Richtung der künftigen deutschen Politik wurde im Spätjahr 1938 in zwei Geheimreden umrissen. Am 8. November erklärte Himmler vor den höchsten Führern der SS, der «Führer» werde ein «großgermanisches Reich schaffen …, das größte Reich, das von dieser Menschheit errichtet wurde und das die Erde je gesehen hat». Die Alternative lautete für Himmler: «das großgermanische Imperium oder das Nichts». Hitler selbst legte zwei Tage später vor ausgewählten Vertretern der deutschen Presse vertraulich dar, daß die Friedenspropaganda des Regimes, zu der man aus außenpolitischen Gründen gezwungen gewesen sei, die aber auch «ihre bedenklichen Seiten» habe, überholt war. Mittlerweile sei es notwendig geworden, «das deutsche Volk psychologisch umzustellen und ihm langsam klarzumachen, daß es Dinge gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen».
    Es war nicht nur Hitlers Friedenspropaganda, die sich im nachhinein als teilweise «bedenklich» erwies. Die Umerziehung zur Kriegsbereitschaft mußte auch berücksichtigen, daß der Alltag der Deutschen in den späten dreißiger Jahren trotz Hitler-Jugend, Reichsarbeitsdienst und allgemeiner Wehrpflicht von den zivilen Errungenschaften des Regimes geprägt war: der zunehmenden Sicherheit des Arbeitsplatzes, einer Reihe von sozialen Verbesserungen, vor allem zugunsten von Frauen und Familien, und den Freizeitangeboten von «Kraft durch Freude», der populärsten Einrichtung der Deutschen Arbeitsfront. DieErwartungen von ungezählten Millionen richteten sich nicht auf kriegerische Eroberungen, sondern auf «KdF»-Schiffsreisen nach Norwegen oder im Mittelmeer oder gar auf den Erwerb eines «Volkswagens».
    Im Jahr 1938 lag die Zahl der Arbeitslosen im Altreich bei 0,4 Millionen oder 1,9 Prozent der abhängigen Erwerbspersonen. In welchem Umfang der Abbau der Arbeitslosigkeit auf das Konto der Rüstungskonjunktur ging, wieviel höher das persönliche Einkommen ohne die gigantischen Ausgaben für die Rüstung gewesen wäre, was die Reichsmark tatsächlich wert war, vorausgesetzt, sie wäre frei in andere Währungen umtauschbar gewesen und Preise, Löhne und Mieten hätten sich nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage und nicht nach staatlichen Vorgaben gerichtet: Darüber konnte man nur spekulieren. Worauf es ankam, war, daß das, was man erreicht hatte, nicht aufs Spiel gesetzt wurde. Die meisten Deutschen glaubten freilich Ende 1938 auch gar nicht, daß der «Führer» auf Krieg aus war. Den offiziellen Stimmungsberichten zufolge bewies das Münchner Abkommen in den Augen der überwältigenden Mehrheit der «Volksgenossen» einmal mehr, daß Hitler in der Lage war, auch schwerste internationale Krisen ohne

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