Geschichte des Westens
gegen die Hitler-Stalin-Pakt erhoben. Aber wenn man davon ausging, daß es einen Widerspruch zwischen den wohlverstandenen Interessen der internationalen Arbeiterklasse und der Sowjetunion nicht geben
konnte,
waren die deutsch-sowjetischen Vereinbarungen vom 23. August sehr wohl als Dienst am Weltproletariat und an der Weltrevolution zu rechtfertigen. Es bedurfte dazu nur der richtigen, einer dialektischen Sichtweise.
Nach kurzem Zaudern schlossen sich auch die kommunistischen Parteien Westeuropas, an ihrer Spitze die französische, dieser Deutung an: Das «Land des Sozialismus», hieß es nun beim PCF, habe die «Front der imperialistischen Staaten» durchbrochen, dadurch seine Zukunft und den Frieden in Europa gesichert. Schuld am Scheitern einer Verständigung zwischen der Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich waren demnach ausschließlich die «imperialistischen» Westmächte: Sie hatten in München den deutschen «Drang nach Osten» unterstützt und sich einer Politik der kollektiven Sicherheit verweigert. Gleichzeitig bekräftigten die französischen ebenso wie die britischen Kommunisten und auch die Moskauer Exil-KPD ihre Entschlossenheit, den Kampf gegen die faschistischen Kriegstreiber konsequent fortzusetzen.
Die bemerkenswerteste Würdigung des Hitler-Stalin-Paktes kam von Mao Tse-tung, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, die nach dem Beginn des japanischen Krieges gegen China im Jahr 1937 ein neues, wenn auch sehr prekäres Einheitsfrontbündnis mit der nationalistischen Kuomintang Tschiang Kai-scheks eingegangen war. In einem Interview bescheinigte Mao dem Moskauer Abkommen, es habe den Versuch der «internationalen reaktionären Bourgeoisie in Gestalt Chamberlains, Daladiers und anderer» durchkreuzt, einen Krieg zwischen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und Deutschland zu provozieren und die Einkreisung der Sowjetunion durch den antikommunistischen deutsch-italienisch-japanischen Block gesprengt. «Im Osten versetzte dieser Vertrag Japan einen Schlag, erwies China eine Hilfe, festigte in China selbst die Positionen jener, die sich für die Fortsetzung des Krieges gegen die japanischen Eindringlinge sind, war ein Schlag gegen die Kapitalisten … Der Abschluß des sowjetisch-deutschen Vertrages hat dem japanischen Imperialismuseinen schweren Schlag versetzt, und in Zukunft erwarten ihn noch größere Schwierigkeiten.»
In der Tat war der Vertrag vom 23. August 1939 für Tokio eine böse Überraschung. Im Zuge des japanisch-chinesischen Krieges war es am 11. Mai an der Grenze zu Mandschukuo und der (1924 gegründeten, völlig von Moskau abhängigen) Mongolischen Volksrepublik zu schweren Konflikten mit der Sowjetunion, dem sogenannten Nomonhankrieg, gekommen. Die deutsch-sowjetische Verständigung verstieß nicht nur gegen den Antikominternpakt, sie erweckte in Japan den Eindruck, vom nationalsozialistischen Deutschland fallengelassen worden zu sein. Das kompromittierte Kabinett Hiranuma wurde gestürzt. In dem europäischen Krieg, der am 1. September 1939 ausbrach, blieb Japan neutral, zugleich aber auch in Fernost isoliert. Der Nomonhankrieg endete am 15. September mit einem Waffenstillstand, der einer vollständigen Niederlage des Kaiserreichs gleichkam und in der japanischen Armee eine schwere moralische Erschütterung auslöste.
Nicht nur den fernöstlichen Partner des Antikominternpaktes stürzte Hitler mit seiner dramatischen Kehrtwende in einen Zustand tiefer Verwirrung, sondern auch viele seiner getreuen Gefolgsleute in Deutschland. Den Vertrag vom 23. August 1939 zu rechtfertigen fiel dem «Führer und Reichskanzler» nicht leichter als Stalin. Immer wieder hatte er dem nationalsozialistischen Deutschland die Rolle der Macht zugeschrieben, die das Böse in Gestalt des Bolschewismus aufzuhalten bestimmt war. Auf dem Nürnberger Reichsparteitag vom September 1934 war er weit in die Geschichte zurückgegangen, um diese deutsche Mission zu untermauern: «So wie sich … früher schon die Völker und Rassenstöße aus dem Osten in Deutschland brachen, so ist auch diesmal unser Volk der Wellenbrecher einer Flut geworden, die Europa, seine Wohlfahrt und seine Kultur unter sich begraben hätte.» Im Jahr darauf, am 26. November 1935, erklärte er gegenüber dem amerikanischen Journalisten Hugh Baillie, dem Präsidenten von United Press: «Deutschland ist das Bollwerk des Westens gegen den Bolschewismus und wird bei dieser Abwehr Propaganda mit
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