Geschichte des Westens
schonen, der Adel, die Popen (sic!) und die Juden müssen wir umbringen.» Die Zahl der Juden, die im September und Anfang Oktober 1939 durch Einsatzgruppen getötet wurden, ist unbekannt. Von der «Sondereinsatzgruppe» unter Obergruppenführer Udo von Woyrsch weiß man, daß sie allein bei dem größten Massaker, das zwischen dem 16. und dem 19. September in Przemyol und Umgebung stattfand, 500 bis 600 Juden umgebracht hat. Insgesamt sollen bis Ende 1939 7000 Juden getötet worden sein. Flankiert wurden die Aktivitäten von Wehrmacht, SS und Einsatzgruppen durch Todesschwadronen des Volksdeutschen Selbstschutzes, die in den ersten Monaten der Besatzung 20.000 bis 30.000 polnische Staatsangehörige ermordeten.
Auf polnischer Seite gab es im September eine Reihe von Ausschreitungen gegen die deutsche Minderheit, denen etwa 2000 Menschen zum Opfer fielen, davon bis zu 300 am 3. September in Bromberg, wo auf beiden Seiten paramilitärische Verbände tätig wurden. Zu einer tiefen Zäsur für Polen wurde der 17. September: der Tag, an dem Staatspräsident Moocicki, der Oberbefehlshaber Rydz-Smigly und die Regierung Slawoj-Skladkowski auf rumänisches Territorium übertraten und die Rote Armee auf breiter Front die Grenze nach Ostpolen überschritt, um, wie es offiziell hieß, den Schutz der Ukrainer und Weißrussen zu übernehmen. Drei Tage später kapitulierten die Armeen «Posen» und «Pomerellen» an der Bzura, am 27. September fiel Warschau.
Am folgenden Tag unterzeichneten Ribbentrop und Molotow in Moskau einen deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag.In einem Geheimen Zusatzprotokoll wurde die Demarkationslinie zwischen der deutschen und der sowjetischen Demarkationslinie von der Weichsel weiter ostwärts an den Bug verlegt und zum Ausgleich ganz Litauen bis auf einen südwestlichen Zipfel der sowjetischen Interessensphäre zugeschlagen. Deutschland besetzte damit 48 Prozent des polnischen Staatsgebietes mit 63 Prozent der Bevölkerung, die Sowjetunion 51 Prozent mit 37 Prozent der Bevölkerung. Das von der Roten Armee kontrollierte Ostpolen war der Teil des Landes, wo Polen und Juden gegenüber Ukrainern und Weißrussen in der Minderheit waren.
Die letzten polnischen Verbände kapitulierten am 5. Oktober. Die Verluste der polnischen Armee beliefen sich auf 66.300, die des deutschen Militärs auf 10.572, die der Roten Armee auf 737 Gefallene. Fast 700.000 polnische Soldaten befanden sich in deutscher, mehr als 200.000 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Etwa 110.000 Offiziere und Soldaten konnten Polen über Litauen, Lettland, Ungarn und Rumänien verlassen. Als die Waffen schwiegen, gab es bereits eine polnische Exilregierung unter General Wladyslaw Sikorski. Sie hatte sich am 30. September in Paris gebildet, nachdem Präsident Moocicki zwei Tage zuvor im rumänischen Exil von seinem Amt zurückgetreten war. Ihren stärksten Rückhalt bildete die Exilarmee. Sie rekrutierte sich aus jenem Teil der Streitkräfte, der 1939 aus Polen zuerst nach Ungarn und Rumänien und von dort nach Frankreich und Großbritannien gelangt war, außerdem aus Exilpolen – zusammen etwa 84.000 Mann. Dazu kamen erfahrene Geheimdienstoffiziere, die den Alliierten während des Krieges wertvolle Dienste leisten sollten.
Die deutsche Bevölkerung hatte am 1. September keinerlei «Kriegsbegeisterung» gezeigt; der rasche Sieg wurde mit Erleichterung, ja vielfach enthusiastisch aufgenommen. Um das Schicksal des polnischen Volkes kümmerte sich die «Volksmeinung» im Reich nicht. Dem Triumph der deutschen Waffen folgte die (nach 1772, 1793, 1795 und 1815) fünfte Teilung Polens: Deutschland gliederte sich ein großes Territorium im Westen und Norden an; die Sowjetunion tat dasselbe im Osten. Der verbleibende Rest, das «Generalgouvernement», zu dem auch Warschau gehörte, bildete fortan eine Art «Nebenland» des Reiches.
Am 25. Oktober 1939 endete auf Weisung Hitlers die Militärverwaltung in Polen. Da die Voraussetzungen für den Aufbau einer staatlichen Zivilverwaltung noch gar nicht geschaffen waren, hinterließ dieEntscheidung des «Führers» bis in das Frühjahr 1940 hinein, um den Historiker Martin Broszat zu zitieren, «ein vielfach gänzlich ungeklärtes Nebeneinander von staatlich-verwaltungsmäßigen, polizeilichen und Parteizuständigkeiten»; sie «eröffnete ein anarchisches Rechtsvakuum und bildete so die wohl keineswegs unbeabsichtigte Grundlage für wochenlang andauernde, mehr oder minder
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