Geschichte des Westens
verfahrenslose ‹Großaktionen› gegen Polen und Juden.»
Als wichtigste Aufgabe künftiger deutscher Polenpolitik nannte Hitler am 6. Oktober vor dem Reichstag «eine Ordnung der ethnographischen Verhältnisse, d.h. eine Umsiedlung der Nationalitäten, so, daß sich am Abschluß der Entwicklung bessere Trennungslinien ergeben, als es heute der Fall ist». Die Durchführung dieses Programms oblag in erster Linie der Partei, der SS, dem SD und den Einsatzgruppen. Sie widmeten sich zunächst der massenhaften Exekution von Juden und Angehörigen der polnischen Intelligenz, darunter Professoren, Pfarrern, Lehrern, Rechtsanwälten, Ärzten und Gutsbesitzern, häufig in Form von Geiselerschießungen. Einen frühen Höhepunkt dieser Liquidierung bildete die «Außerordentliche Befriedungsaktion» vom Frühjahr 1940, in deren Verlauf mehrere tausend Intellektuelle, Künstler und Politiker, unter den letzteren der ehemalige Sejmmarschall Maciej Rataj, erschossen wurden. Um in den neuen Reichsteilen, dem Reichsgau Wartheland, dem Reichsgau Danzig-Westpreußen, dem neuen ostpreußischen Regierungsbezirk Zichenau, dem Ostpreußen angegliederten Gebiet um Suwalki und dem vergrößerten Oberschlesien, Volksdeutsche, vor allem Baltendeutsche aus Estland und Kurland sowie Wolhyniendeutsche aus der Ukraine und Bessarabiendeutsche aus Rumänien, ansiedeln zu können, wurden bis Ende 1939 etwa 88.000 Polen, Juden und Zigeuner ins Generalgouvernement deportiert. Auf dem Boden des Deutschen Reiches sollten nach dem Willen Hitlers künftig nur noch Deutsche leben. Mit der Verwirklichung dieser Absicht beauftragte er den Reichsführer SS, Heinrich Himmler, der am 7. Oktober 1939 zum Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums ernannt wurde.
Im Mai 1940 faßte Himmler die Folgerungen für die Polen im Generalgouvernement in einer von Hitler ausdrücklich genehmigten Denkschrift über die «Behandlung der Fremdvölkischen im Osten» zusammen. Über den Status eines Helotenvolkes sollten die Polen, soweit sie nicht «guten Blutes» und damit germanisierbar waren, nicht mehrhinausgelangen. Für die nichtdeutsche Bevölkerung des Ostens durfte es keine höhere Schule als die vierjährige Volksschule geben. «Das Ziel dieser Volksschule hat lediglich zu sein: Einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, daß es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav zu sein. Lesen halte ich nicht für erforderlich.» Eltern der Kinder «guten Blutes» sollten entweder nach Deutschland gehen und dort loyale Staatsbürger werden oder ihre Kinder hergeben. «Sie werden dann wahrscheinlich keine weiteren Kinder mehr zeugen, so daß die Gefahr, daß dieses Untermenschenvolk des Ostens durch solche Menschen guten Blutes eine für uns gefährliche, ja ebenbürtige Führerschicht erhält, erlischt.» Der großen Mehrheit der polnischen Bevölkerung, die sich nicht «eindeutschen» ließ, blieb nur eine Perspektive: Sie mußte «als führerloses Arbeitsvolk zur Verfügung stehen und Deutschland jährlich Wanderarbeiter und Arbeiter für besondere Arbeitsvorkommen (Straßen, Steinbrüche, Bauten) stellen.»
Die Praxis entsprach den Vorgaben. Wer als deutsch oder eindeutschungsfähig galt, wurde in eine der vier Gruppen der Deutschen Volksliste aufgenommen: Sie reichte von bekennenden Angehörigen der bisherigen deutschen Minderheit über Deutschstämmige, die sich nicht als Volksdeutsche betätigt hatten, und im Polentum aufgegangene, wieder eindeutschungsfähige Deutschstämmige bis hin zu wieder eindeutschungsfähigen volksdeutschen «Renegaten». Die überwiegende Mehrheit der Polen hatte keine Aussicht, ins Herrenvolk aufzusteigen. Die deutsche Herrschaft über Polen war die einer Kolonialmacht, die in den Unterworfenen rassisch minderwertige Wesen sah. Im Unterschied zur wilhelminischen Kolonialherrschaft in Übersee übten in Polen aber nicht Offiziere und Beamte, sondern irreguläre Sondergewalten die eigentliche Macht aus: die NSDAP, die in Hans Frank den Generalgouverneur mit Sitz im Krakauer Wawel stellte, und die SS, die Hitlers Volkstumspolitik exekutierte. Die Entmachtung der klassischen Bürokratie war gewollt. Das hergebrachte Denken in den Kategorien von Normen, Regeln und Kompetenzen, von dem die höhere Beamtenschaft geprägt war, sollte keine Chance haben, der Dynamik der rassischen Umwälzung Fesseln anzulegen.
In anderen Formen als die Unterjochung
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