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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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«ihres» Teiles von Polen durch die Deutschen vollzog sich die Sowjetisierung Ostpolens. Um ihrer Herrschaft den Anschein einer demokratischen Legitimation zuverschaffen, verfügte die Sowjetisierung im Oktober 1939 die «Wahl» von Volksversammlungen, die prompt um die Aufnahme des betreffenden Gebiets in die ukrainische beziehungsweise belorussische Sowjetrepublik baten. Es folgten die konsequente Entpolonisierung der annektierten Territorien, die Verstaatlichung der Industrie und, wenig später, die Kollektivierung der Landwirtschaft. Die gesellschaftlichen Veränderungen gingen einher mit Erschießungen, Verhaftungen, Aburteilungen und, beginnend im Februar 1940, mit Deportationen in den Osten und den Süden der Sowjetunion. Insgesamt wurden bis Juni 1941 zwischen 760.000 und 1,25 Millionen Menschen aus Ostpolen ausgesiedelt, wobei viele, vor allem Kleinkinder, während des Transports in eisiger Kälte umkamen. Unter den Deportierten überwogen zunächst Angehörige der Oberschicht, des bisherigen Staatsapparats und der Intelligenz. Im Juni 1940 stellten Juden, meist Flüchtlinge aus dem deutsch beherrschten Teil des Landes, im Juni 1941 ukrainische und weißrussische «Nationalisten» das Gros der Vertriebenen.
    Von allen Gewalttaten des Sowjetregimes in Ostpolen aus den Jahren 1939 bis 1941 hat sich die Ermordung von Tausenden polnischer Offiziere im Frühjahr 1940 der kollektiven Erinnerung am stärksten eingeprägt. Am 5. März 1940 beschloß das Politbüro der KPdSU unter Vorsitz Stalins die Erschießung von 25.700 «Offizieren, Beamten, Gutsbesitzern, Polizisten, Gendarmen und Gefängniswärtern» aus Polen, die sich in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern sowie in ukrainischen und weißrussischen Gefängnissen befanden. Insgesamt wurden 21.300 Personen exekutiert. Von den Offizieren fanden 4000 bei Charkow, 6300 in Mednoje bei Kalinin/Twer und 4000 in Katyn den Tod. Es gab weitere, nicht zu beziffernde Massenerschießungen von Polen, so in Bykownia bei Kiew, wo die Leichen der Polen neben Opfern des Großen Terrors von 1937/38 verscharrt wurden.
    Die Leichen von Katyn wurden im Frühjahr 1943 von zurückweichenden deutschen Truppen entdeckt und der Weltöffentlichkeit als schlagendes Beispiel für den verbrecherischen Charakter des Bolschewismus präsentiert. Das geschah in dem gleichen Jahr, in dem die systematische Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland ihren furchtbaren Höhepunkt erreichte. Von
diesem
Völkermord sollte die Welt nichts erfahren – so wenig wie vom Ausmaß der Vernichtung der polnischen Oberschicht in dem Teil des Landes, der deutscher Herrschaft unterworfen war.[ 1 ]
Von der «drôle de guerre» zum Kampf um Norwegen
    Die Westmächte Frankreich und Großbritannien leisteten Polen so gut wie keine militärische Hilfe. Paris hatte Warschau zwar versprochen, am 15. Tag nach Kriegsbeginn mit einer entlastenden Großoffensive zu beginnen, schickte dann aber lediglich einige Verbände in das Vorfeld des «Westwalls», dem seit 1938 errichteten deutschen Pendant zur Maginotlinie. Es gab einige Gefechte, die nach Angaben der Wehrmacht bis zum 19. Oktober 196 Tote auf deutscher Seite forderten. Die ersten beiden britischen Divisionen landeten erst Anfang Oktober in Frankreich, gefolgt von zwei weiteren Divisionen in der dritten Oktoberwoche.
    Wirkungsvoller war die von Großbritannien sofort verhängte Seeblockade, die wie im Ersten Weltkrieg Deutschland vom Weltverkehr absperren sollte. Im Seekrieg verbuchten mal die Deutschen, mal die Briten Erfolge: Deutsche U-Boote zerstörten im September im Bristol-Kanal den Flugzeugträger «Courageous» und im Oktober in der Bucht von Scapa Flow das Schlachtschiff «Royal Oak». Britische Kriegsschiffe beschädigten im Dezember das deutsche Panzerschiff «Graf Spee» so stark, daß sich der Kommandant zur Selbstversenkung vor der La-Plata-Mündung gezwungen sah. Die wichtigste Geste der Solidarität gegenüber Polen bestand darin, daß die beiden westlichen Demokratien ein «Friedensangebot», das Hitler ihnen in seiner Reichstagsrede vom 6. Oktober unterbreitete, zurückwiesen. Insgesamt war der Krieg im Westen in den ersten sieben Monaten das, was man in der angelsächsischen Welt alsbald als «Scheinkrieg» (phoney war) und in Frankreich als «komischen Krieg» (drôle de guerre) bezeichnete.
    Hitler war im Herbst 1939 durchaus daran gelegen, mit einer Offensive im Westen den Entscheidungskampf

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