Geschichte des Westens
germanischen und romanischen, von den deutschen Eliten nicht den hochstehenden Kulturnationen zugerechnet, sondern mit ethnischen Ressentiments und negativen Klischees wie «dreckig» und «zurückgeblieben» bedacht worden. In gesteigertem Maß galt dasselbe von den Juden, die etwa 10 Prozent der polnischen Bevölkerung stellten. Entsprechend radikal waren die Vorstellungen von dem, was in Polen zu geschehen hatte. «Die deutschen Pläne zur Eroberung von Lebensraum im Osten sahen bereits im Sommer 1939 die Ausrottung großer Teile der dort lebenden Bevölkerung und die Unterdrückung der Überlebenden vor», schreibt Jochen Böhler in seinem 2006 erschienenen Buch «Auftakt zum Vernichtungskrieg». «Über dieses Programm war die Wehrmacht bereits zu Kriegsbeginn informiert, und sie beteiligte sich aktiv an dessen Verwirklichung.»
Polen war durch den Nachrichtendienst seines Generalstabs über den deutschen Aufmarschplan informiert und hatte daher seit Mitte August schrittweise mobilgemacht und am 30. August die Gesamtmobilmachung angeordnet. Infolgedessen befanden sich die grenznahen Verbände, als der Krieg am frühen Morgen des 1. Septembermit Angriffen aus der Luft und den Schüssen des Schlachtschiffs «Schleswig-Holstein» auf die Westerplatte bei Danzig begann, in Alarmbereitschaft. Die polnische Luftwaffe wurde bereits in den ersten Stunden auf ihren Flugplätzen vernichtet; das Heer kämpfte zäh und verbissen, hatte aber angesichts der erdrückenden Überlegenheit der Wehrmacht keine wirkliche Chance. Bereits am 11. September konnte die dritte deutsche Armee den Bug östlich von Wyschkow überqueren.
Die deutschen Soldaten standen von den ersten Kriegstagen an unter dem Eindruck von Meldungen, die in der Wirklichkeit keine Stütze fanden, aber geglaubt wurden: Überall sei mit Angriffen polnischer Freischärler zu rechnen. Tatsache war aber lediglich, daß die ins Landesinnere zurückweichenden polnischen Truppen nicht die offene Schlacht suchten, sondern aus der Deckung von Wäldern, Hecken, Gehöften und Ortschaften agierten, was die Invasoren als Ausdruck slawischer Heimtücke empfanden. Sie reagierten damit, daß sie Dörfer und Kleinstädte in Brand steckten und polnische Soldaten nach ihrer Gefangennahme sowie Zivilisten, darunter auch Greise, Frauen und Kinder, erschossen. Die Gesamtzahl der polnischen Soldaten, die außerhalb der Kampfhandlungen getötet wurden, belief sich auf über 3000. Zwischen Anfang September und Ende Oktober gab es 714 Exekutionen, bei denen 16.000 Zivilisten zu Tode kamen. Juden wurden besonders häufig verdächtigt, für Angriffe aus dem Hinterhalt verantwortlich zu sein. Wieviele von ihnen getötet wurden, steht nicht fest. Zahlreich waren die Fälle, in denen deutsche Soldaten Juden auf offenem Marktplatz die Bärte abschnitten oder versengten und sie verprügelten. Plünderungen jüdischer Wohnungen gingen häufig mit Vergewaltigungen jüdischer Frauen einher.
Die Grenzen zwischen Wehrmacht und SS waren während des Polenfeldzugs nicht immer klar gezogen. Im August 1939 hatten die SS-Verfügungstruppen und SS-Totenkopfverbände den Status einer «stehenden bewaffneten Truppe» erhalten. Die 14. Armee bestand aus der SS-Standarte «Germania»; eine eigene Einheit bildete auch die SS-Totenkopfstandarte «Brandenburg», auf deren Konto das Niederbrennen mehrerer Synagogen ging. Im Rahmen der 8. Armee kämpfte die Leibstandarte «Adolf Hitler», als Untereinheiten der Panzerdivision Kempf beteiligten sich das SS-Artillerieregiment «Deutschland» und der SS-Aufklärungssturmbann an der Niederwerfung Polens. Angehörigeder genannten Panzerdivision verübten am 6. September ein Pogrom in Groworowo bei Rózan: Die Juden des Ortes wurden in der Synagoge zusammengetrieben, wo bereits die Leichen getöteter Juden lagen; anschließend wurde das Gotteshaus in Brand gesetzt. Nur die Intervention eines Wehrmachtsoffiziers verhinderte im letzten Augenblick den beabsichtigten Massenmord.
Neben den 1,5 Millionen Soldaten von Wehrmacht und SS wurden schon im September fünf Einsatzgruppen des 1939 geschaffenen Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) mit zunächst 2000 Mann in Polen tätig. Ihre Aufgabe war es laut Protokoll einer Besprechung der Amtschefs vom 7. September, «die führende Bevölkerungsschicht in Polen so gut wie möglich unschädlich zu machen» – oder, wie Reinhard Heydrich, der Chef des RSHA, es tags darauf formulierte: «Die kleinen Leute wollen wir
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