Geschichte des Westens
werden kann. Adolf Hitler.»
Damit machte sich der «Führer» endgültig zum Herrn über Leben und Tod. «Sein» Krieg sollte ihm die Möglichkeit geben, auch nach innen die letzten Konsequenzen aus seiner sozialdarwinistischen Weltanschauung zu ziehen und einem neuen, reinrassigen und gesunden, arischen Menschentypus zum Durchbruch zu verhelfen. Während die Aufmerksamkeit des deutschen Volkes dem Kampf an den Fronten zugewandt war, mochte es leichter sein als zuvor, ohne großes Aufsehen den Schritt von der «Verhütung erbkranken Nachwuchses», die ein Gesetz vom 14. Juli 1933 erlaubte, zur «Vernichtung lebensunwerten Lebens», von der «Eugenik» zur «Euthanasie», zu tun. Vorkämpfer der letzteren waren vor allem der Strafrechtler Karl Binding und der Psychiater Alfred Hoche, die, wie schon an anderer Stelle erwähnt, 1920 die «Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens» (so der Titel des gemeinsam verfaßten Buches) gefordert hatten. Aber in breiten Kreisen der Gesellschaft und zumal bei den christlichen Kirchen galt der «Gnadentod» für Geisteskranke nach wie vor als Mord. Im Zeichen des Krieges hoffte Hitler, den Zivilisationsbruch, den er wollte, durchsetzen zu können. Hinderliche Normen aus der Tradition des bürgerlichen Rechtsstaates im Bedarfsfall außer Kraft zu setzen lag in der Logik des totalitären Staates. Im nationalsozialistischen Deutschland konnte diese Logik sich erst im Krieg voll entfalten.[ 17 ]
4.
Zivilisationsbrüche:
Zweiter Weltkrieg und Holocaust
Krieg als Vernichtung: Die fünfte Teilung Polens
Nur eine Macht hatte 1939 zielstrebig auf die Entfesselung eines Krieges hingearbeitet, von dem sie wissen mußte, daß es nicht in ihrer Macht lag, ihn zu lokalisieren: das nationalsozialistische Deutschland. Ob Hitler Polen im Herbst jenes Jahres auch dann angegriffen hätte, wenn Stalin ihm nicht durch den Moskauer Vertrag vom 23. August 1939 zu Hilfe gekommen wäre, muß offen bleiben. Ein Kriegsverzicht des «Dritten Reiches» war 1939 freilich schon in Anbetracht seiner eigenen Hochrüstung und der fortschreitenden Aufrüstung der anderen Mächte kaum noch vorstellbar. Der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag, der in Wahrheit ein Angriffsvertrag war, verminderte die Risiken von Hitlers Va-banque-Spiel: Er machte die Sowjetunion zum Ko-Aggressor und auf absehbare Zeit von der Politik des Hauptaggressors abhängig.
Als Grund des Krieges gegen die östlichen Nachbarn nannte Hitler am 22. August vor der hohen Generalität auf dem Obersalzberg die «Vernichtung Polens. Ziel ist Beseitigung der lebendigen Kräfte, nicht die Erreichung einer bestimmten Linie». Einer anderen, in ihrem Quellenwert zeitweilig umstrittenen, aber durchaus glaubwürdigen Aufzeichnung zufolge fügte der «Führer» dieser Vorgabe noch die Bemerkung hinzu, er habe, «einstweilen nur im Osten», seine Totenkopfverbände bereitgestellt mit dem Befehl, «unbarmherzig und mitleidlos Mann, Weib und Kind polnischer Sprache in den Tod zu schicken. Nur so gewinnen wir den Lebensraum, den wir brauchen. Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?»
In der Armeeführung durfte Hitler bei seiner Wendung gegen Polen breiter Unterstützung gewiß sein. Während der Sudetenkrise im Sommer und Frühjahr des Vorjahres hatte es eine Militäropposition gegen Hitler gegeben, der auch der spätere Generalstabschef Halder zuzurechnen war. Als Hitler im Frühjahr 1939 die Weichen für den Angriff auf Polen stellte, war von einer Gegnerschaft im Heer nichts mehr zu spüren. Die Sudetengebiete hatten nie zum Reich von 1871 gehört, wohl aber große Teile Polens, das eben darum auch den deutschen Rechten als «Raub-» und «Saisonstaat» galt. Die Aufkündigung des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes am 28. April 1939 ließ Generalstabschef Halder «einen Stein vom Herzen» fallen. Innerhalb von zwei bis drei Wochen werde die Wehrmacht mit Polen fertig sein, verkündete Halder Ende April oder Anfang Mai in einer vertraulichen Rede. Nach dem polnischen «Cannae» könne man, wenn nötig, zum Schlag gegen die Westmächte ausholen.
Der Krieg gegen Polen war von Anfang an ein rassischer Vernichtungskrieg. Er war kein europäischer «Normalkrieg» mehr, sondern der erste völkische Krieg in Europa und damit ebenso wie die anschließende Besatzungsherrschaft ein Vorgriff auf das, was dem slawischen Osten noch bevorstand. Schon im Ersten Weltkrieg waren die slawischen Nationen, im Unterschied zu den
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