Geschichte des Westens
Streitkräfte lieferten der massiv überlegenen Roten Armee einen zähen und zunächst sehr wirksamen Widerstand. Es gelang ihnen, einen Durchbruch des Aggressors im Zentrum der Karelischen Landenge bei Summa abzuwehren; ein Versuch, die gegnerischen Kräfte dort einzukesseln, forderte aber so viele Menschenleben, daß er am 23. Dezember abgebrochen werden mußte. Auf der Karelischen Landenge erstarrten die Kämpfe danach zum Stellungskrieg. Nördlich des Ladogasees war die finnische Strategie hingegen erfolgreich: Im größten Kessel wurden zwei sowjetische Divisionen eingeschlossen. Anfang Januar 1940 vernichteten finnische Truppen die motorisierte 44. Division der Roten Armee und schlossen weitere ein.
Erst Anfang Februar konnten die Sowjetverbände unter Oberbefehl von Verteidigungskommissar Marschall Woroschilow auf der Karelischen Landenge größere Durchbrüche erzielen. Am 23. Februar ließ die Sowjetführung auf dem Weg über Stockholm die finnische Regierung über ihre Friedensbedingungen informieren. Finnland sollte die Halbinsel Hanko auf dreißig Jahre verpachten, die gesamte KarelischeLandenge einschließlich der Stadt Wiborg sowie die West- und Nordseite des Ladogasees an die Sowjetunion abtreten. Die finnische Regierung wollte darauf nicht eingehen und bat abermals die Westmächte um Hilfe, die daraufhin versprachen, bis April eine Hilfsexpedition von über 10.000 Mann zu entsenden. Doch wiederum weigerte sich Stockholm, britischen und französischen Truppen den Durchmarsch zu gestatten. Da Feldmarschall Mannerheim eine Fortsetzung des Kampfes für unmöglich hielt, beschloß die Regierung am 29. Februar, Friedensverhandlungen aufzunehmen. Paris und London reagierten mit einem neuen Hilfsangebot, das auf finnischer Seite geprüft, aber als unzureichend bewertet wurde. Nach abermaligen Erfolgen der Roten Armee waren die Finnen schließlich bereit, zusätzlichen Annexionsforderungen in Kuusamo und Salla zuzustimmen. Am 13. März wurde in Moskau der Friedensvertrag geschlossen; am 14. März trat er in Kraft. Die finnischen Streitkräfte hatten etwa 24.000, die Rote Armee nach eigenen Angaben 49.000 Gefallene zu beklagen.
Die Gebietsverluste Finnlands wogen schwer, aber sein wichtigstes Kampfziel hatte das Land erreicht: die Behauptung seiner Selbstständigkeit. Diese Erfahrung schweißte die Finnen fester zusammen; im Ergebnis bewirkte sie so etwas wie eine Neubegründung der finnischen Nation. Doch nicht nur in Finnland hatte der Winterkrieg weitreichende Wirkungen. Für die Sowjetunion lautete die Lektion, daß das Ziel, Finnland zu erobern und in eine Sowjetrepublik zu verwandeln, ihre Kräfte einstweilen überstieg. Das Deutschland Adolf Hitlers folgerte aus den Ereignissen des Winters 1939/40, daß es für die Wehrmacht gegebenenfalls ein Leichtes sein müßte, die Rote Armee zu bezwingen.
In Frankreich löste das schließliche Nachgeben Finnlands eine schwere Regierungskrise aus. In einer Geheimsitzung beider Kammern der Nationalversammlung wurde der Regierung Daladier vorgehalten, daß sie Finnland nicht wirksam zu Hilfe gekommen sei. Bei einer Vertrauensabstimmung in der Deputiertenkammer votierten am 20. März 239 Abgeordnete für und einer gegen die Regierung; 300 Parlamentarier enthielten sich der Stimme. Daladier zog aus dieser politischen Niederlage die Konsequenz: Er trat nach fast zweijähriger Amtszeit zurück. Tags darauf, am 21. März, übernahm der bisherige Finanzminister Paul Reynaud, seit jeher ein scharfer Kritiker jedes «apaisement» gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland,das Amt des Ministerpräsidenten und zugleich das des Außenministers. Daladier blieb Verteidigungsminister und verhinderte als solcher, daß der Militärreformer Charles de Gaulle, der großen Anteil an Reynauds kämpferisch gehaltener Regierungserklärung hatte, zum Sekretär des Militärkabinetts benannt wurde. Bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage in der Deputiertenkammer erhielt Reynaud am 22. März nur eine Stimme über der absoluten Mehrheit: 268 Ja-Stimmen standen 156 Nein-Stimmen und 111 Enthaltungen gegenüber. Das Votum war ein getreues Spiegelbild der inneren Zerrissenheit Frankreichs im Frühjahr 1940.
Auch in London zeitigte der Winterkrieg seine Wirkungen. Winston Churchill hatte als Erster Lord der Admiralität, das heißt als Marineminister, seit Kriegsbeginn darauf gedrängt, die Neutralität Norwegens zu ignorieren und seine Küstengewässer zu verminen –
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