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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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fiel Sedan in deutsche Hände. Von diesem Brückenkopf aus stieß General Heinz Guderian mit seinen Panzertruppen auf eigene Faust unverzüglich in Richtung Küste vor. Der französische Oberbefehlshaber Gamelin teilte Ministerpräsident Reynaud daraufhinmit, daß das Militär die Sicherheit von Paris nicht mehr gewährleisten könne. Im nördlichen und östlichen Frankreich setzte eine Massenflucht der Zivilbevölkerung ein, was zur Verstopfung zahlreicher Straßen führte. Im Juni befanden sich in ganz Frankreich etwa 8 Millionen Menschen auf der Flucht.
    Von Reynaud über den Ernst der Lage informiert, begab sich Premierminister Churchill am 16. Mai nach Paris, das sich dem Zustand der Panik näherte. Der erwartete Fall der Hauptstadt verzögerte sich aber, da die Deutschen zunächst zur Kanalküste vorrücken wollten. Am 19. Mai bildete Reynaud die Regierung um: Der Ministerpräsident übernahm selbst das Verteidigungsministerium. Der bisherige Innenminister Daladier wechselte ins Außenministerium, der energische Kolonialminister Georges Mandel ins Innenministerium. Stellvertretender Ministerpräsident wurde ein Held des Ersten Weltkriegs, der vierundachtzigjährige Marschall Philippe Pétain, der «Sieger von Verdun». General Gamelin, dem Reynaud die Hauptschuld an dem bisherigen militärischen Debakel gab, wurde als Oberkommandierender vom früheren Generalstabschef Weygand abgelöst. Weygand war ein Anhänger der äußersten Rechten und stand, wie Pétain, der parlamentarischen Demokratie der Dritten Republik innerlich ablehnend gegenüber.
    Am gleichen Tag, an dem das große Revirement in Paris stattfand, dem 19. Mai, erreichten deutsche Panzerverbände unter General von Kleist Abbéville an der Sommemündung. Damit war der «Sichelschnitt» vollzogen: Die britisch-französischen Truppen, die sich nördlich der Sommelinie befanden, hatten keine Landverbindung mehr zum Rest der alliierten Streitkräfte. Fünf Tage später, am 24. Mai, als die Deutschen bereits 15 Kilometer vor Dünkirchen standen, wurde der Vormarsch jäh unterbrochen: Hitler entschied, in Übereinstimmung mit Rundstedt, aber im Widerspruch zur Meinung anderer Generäle, darunter Brauchitsch und Halder, die Panzertruppe zu schonen und die Einschließung von Dünkirchen von der Seeseite her der Luftwaffe Hermann Görings zu überlassen.
    Die unverhoffte Pause im Panzerkrieg nutzte der britische General Lord Gort, um auf eigene Faust und entgegen allen den Franzosen gegebenen Versprechungen, aber mit nachträglicher Zustimmung von Kriegsminister Eden, das britische Expeditionskorps aus der britischen Front herauszulösen, nach Dünkirchen zurückzuziehen und dort einenBrückenkopf zu bilden. Am 27. Mai begann die Einschiffung nach Großbritannien. Die deutsche Luftwaffe störte die (von den Briten so genannte) «Aktion Dynamo» durch heftige Angriffe, konnte sie aber nicht verhindern und mußte selbst schwere Verluste hinnehmen, die ihr die Royal Air Force zufügte. Bis zum 4. Juni wurden 224.301 britische sowie 111.172 französische und belgische Soldaten über den Ärmelkanal evakuiert; ihre Waffen und ihr Kriegsmaterial mußten sie (anders als die in Frankreich gelandeten und von dort nach England gelangten kanadischen Truppen) auf dem Kontinent zurücklassen. Das «Wunder von Dünkirchen» bedeutete nicht mehr und nicht weniger als die vorläufige Rettung Großbritanniens: Ohne die Rückführung des Gros des Expeditionskorps hätte das Vereinigte Königreich den Krieg gegen Deutschland kaum fortsetzen können.
    In der zweiten Maihälfte setzten sowohl die britische als auch die französische Regierung große Hoffnungen auf Roosevelt. Churchill bat den amerikanischen Präsidenten in Briefen vom 15. und 18. Mai eindringlich, Großbritannien zu unterstützen, weil dieses andernfalls nach einer Niederlage Frankreichs in größte Bedrängnis geraten würde. Roosevelt antwortete am 24. Mai freundlich, aber mit Rücksicht auf die starken isolationistischen Strömungen in den USA ausweichend. Alles, was er versprechen wollte, war ein Versuch, auf Mussolini einzuwirken, um Italien aus dem Krieg herauszuhalten.
    Auf eine solche diplomatische Hilfeleistung des amerikanischen Präsidenten drängte auch Paul Reynaud, der am 26. Mai zu Verhandlungen mit der britischen Regierung in London eintraf. Ein entsprechendes britisch-französisches Ersuchen erhielt Roosevelt am 27. Mai. Er reagierte sofort und teilte dem italienischen Diktator mit,

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