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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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aber sprach der allseits verehrte Marschall am 17. Juni 1940 nicht. Eine Antwort gab ihm am 18. Juni General Charles de Gaulle, der sich als Unterstaatssekretär des Verteidigungsministeriums vier Tage zuvor im Auftrag der Regierung Reynaud nach London begeben hatte, um an der Koordinierung der alliierten Kriegsanstrengungen mitzuwirken. Über den britischen Rundfunk forderte de Gaulle alle französischen Offiziere, Soldaten, Ingenieure und Facharbeiter der Rüstungsindustrie, die sich in Großbritannien befanden oder noch dorthin kommen sollten, auf, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Die Niederlage, sagte er, sei nicht endgültig, denn nichts sei verloren für Frankreich. Es habe ein großes Reich, das britische, hinter sich und könne von den ungeheuren industriellen Ressourcen der Vereinigten Staaten Gebrauch machen. «Dieser Krieg wird nicht durch die Schlacht um Frankreich entschieden. Dieser Krieg ist ein Weltkrieg … Was immer auch kommen möge, die Flamme des französischen Widerstandes darf und wird nicht erlöschen.» (Quoi qu’il arrive, la flamme de la résistance française ne doit pas s’étendre et ne s’étendra pas.) Der später am meisten zitierte Satz «Frankreich hat eine Schlacht verloren, aber Frankreich hat nicht den Krieg verloren» wurde der gedruckten Fassung der Rede erst nachträglich beigefügt.
    Die Wirkung der Ansprache war gewaltig: Sie sollte zum Gründungsmanifest des französischen Widerstands gegen die deutsche Besatzung werden. Zehn Tage nach seiner Rede gründete de Gaulle in London das Komitee «France libre», das Leitungszentrum der Résistance. Die britische Regierung erkannte den General am 28. Juni als Führer des freien Frankreich an; in den französischen Kolonien stellten sich mehrere Generäle und Gouverneure, unter den letzteren die vonTschad, Kamerun, Französisch-Äquatorialafrika und Französisch-Kongo, auf seine Seite. In Frankreich selbst versuchte die Regierung Pétain, gestützt auf die im Herbst 1939 eingeführten scharfen Zensurbestimmungen, die Verbreitung der Appelle de Gaulles zu unterbinden; den Widerhall völlig zu unterdrücken gelang ihr nicht. Dem rebellierenden General wurde die französische Staatsbürgerschaft aberkannt; ein Kriegsgericht verurteilte ihn erst, am 4. Juli 1940, zu einer Gefängnisstrafe, dann, am 2. August, zum Tode. Franzosen, die de Gaulle zustimmten, waren dadurch nicht zu beeindrucken.
    Am 21. Juni wurde die französische Waffenstillstandsdelegation unter General Huntziger bei Compiègne in ebenjenen Eisenbahnwaggon geleitet, in dem am 11. November 1918 Marschall Foch den deutschen Unterhändlern die alliierten Waffenstillstandsbedingungen ausgehändigt hatte. In Anwesenheit Hitlers und der hohen Generalität teilte Generalfeldmarschall Keitel, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, den Franzosen die deutschen Bedingungen mit. Der größere nördliche Teil Frankreichs mit Paris bis hin zur Loire und die gesamte Atlantikküste wurden von deutschen Truppen besetzt; einen Gebietsgürtel entlang der Grenze zu Belgien, bestehend aus den Departements Nord und Pas-de-Calais, verwaltete der deutsche Militärbefehlshaber in Brüssel. Der Besatzungsmacht standen alle hoheitlichen Befugnisse zu; nur die lokale Verwaltung sollte unter ihrer Aufsicht in französischer Hand bleiben; sie war zur «collaboration» mit der Besatzungsmacht verpflichtet.
    Die französische Armee wurde zahlenmäßig beschränkt, im Mutterland, wie 1919 im Vertrag von Versailles das deutsche Heer, auf 100.000 Mann, in Algerien und den Kolonien auf insgesamt 279.000 Mann. Artillerie, Panzer, Flugzeuge und schweres Kriegsgerät waren an Deutschland zu übergeben. Die Flotte sollte, um sie nicht in britische Hände fallen zu lassen, in französischen Häfen unter deutscher Aufsicht entwaffnet werden. Das galt nicht für die Schiffe, die zur Verteidigung der Überseegebiete erforderlich waren. Das Reich versprach, sich die französische Flotte weder während des Krieges noch danach anzueignen, und erfüllte damit eine Bedingung von Weygand und Darlan. Frankreich verpflichtete sich seinerseits, alle Franzosen daran zu hindern, den Kampf gegen Deutschland wieder aufzunehmen, also sich General de Gaulle anzuschließen. Es hatte die deutschen Kriegsgefangenen freizulassen, mußte es aber hinnehmen, daß 1,95 MillionenFranzosen in deutscher Kriegsgefangenschaft verblieben. Deutsche Staatsangehörige, gemeint waren Emigranten, mußten auf Verlangen an das

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